Corona-Proteste: Nicht nur ein Fall für den Verfassungsschutz
Im Verfassungsschutzbericht von Niedersachsen sind unter anderem Delegitimierer des Staates als Verdachtsobjekte gelistet. Doch nicht alle Corona-Politik-Skeptiker gehören über einen Kamm geschoren, meint Angelika Henkel.
Ein Kommentar von Angelika Henkel, NDR Niedersachsen
Die Corona-Pandemie hat sichtbar gemacht, wie anfällig die Menschen sind, das Absurdeste zu glauben: Dass die Bundesrepublik gar nicht existiere, dass die Polizisten auf unseren Straßen "gekaufte Söldner" einer irgendwie gearteten Macht seien. Dass wir angeblich "in einer Diktatur leben". Neue Zeiten und Herausforderungen - auch für den Verfassungsschutz.
Delegitimierung von Staat und Vertretern
Es ist ein eigenes Phänomen: nicht rechts, nicht links. "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierer des Staates" - das ist ein Wortungetüm der Behörden, aber ein Begriff, mit dem sie zumindest erst mal arbeiten können. Die Formulierung meint eine gefährliche Melange zwischen sogenannten Reichsbürgern, "Querdenkern" und anderen. Es sind Menschen, die unseren demokratischen Staat grundsätzlich in Frage stellen, dessen Vertreter systematisch verleumden und von denen einige auch zu Gewalt neigen. Kurzum: Die Legitimation des Staates wird nicht anerkannt. Gut, dass das sicherheitspolitisch im Fokus ist.
Referat Rechtsextremismus arbeitet auf hohem Niveau
Zuständig dafür ist das Referat Rechtsextremismus beim niedersächsischen Verfassungsschutz. Eine Abteilung, die analytisch präzise und auf hohem Niveau arbeitet. Als Journalistin konnte ich über die Jahre beobachten, wie Gesagtes zutraf und Prognosen eintraten. Da wird differenzierter und wissenschaftlicher gedacht, als viele landläufig unterstellen.
Differenzierung der Motive ist wichtig
Dazu gehört, dass bei den Anti-Corona-Politik-Protesten nicht nur Verfassungsfeinde und Verschwörer waren - das ist nur ein kleiner Teil der Protestler. Auf den Straßen waren auch jene, die möglicherweise noch abdriften werden. Aber eben auch Menschen, die sich Sorgen machen und Ängste haben.
Innenminister macht es sich zu einfach
Eines hilft sicher nicht: Wenn der Innenminister in öffentlichen Reden von "Leerdenkern" spricht, wenn er diese Corona-Protestler meint. So einfach ist es nicht. Ja, man muss klar Haltung zeigen - das macht er richtig. Aber in Bausch und Bogen Menschen damit als dumm zu bezeichnen, ist doch genau das, wovor die eigenen Mitarbeiter beim Verfassungsschutz warnen: Das Über-einen-Kamm-Scheren trifft das neue Phänomen leider unzureichend.
Herausforderung für politische Kommunikation
Denn hinter dem neuen Phänomen steht noch etwas: Eine Herausforderung, die Handeln auf vielen Ebenen gleichzeitig und am besten sofort erfordert. Es braucht eine andere Ansprache an jene, die sich von Politikern und Parteien nicht mitgenommen fühlen, die sich selbst im Abseits sehen. Das aber hat mit politischer Kommunikation zu tun, da ist vor allem die Politik gefordert!