LNG-Terminal Lubmin: Zwischen Tourismus, Ärger und Gleichmut

Stand: 21.02.2023 06:00 Uhr

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine stand die Energieversorgung in Deutschland auf der Kippe. Kurzfristig mussten neue Lösungen her. Im vorpommerschen Lubmin entstand so innerhalb kürzester Zeit ein Terminal für verflüssigtes Erdgas. Wie blicken die Menschen auf die neue Technologie vor ihrer Haustür?

von Wiebke Neelsen

Es brummt im Industriehafen von Lubmin. Die Dieselmotoren des sogenannten Regasifizierungsschiffes "Neptune" tun ihren Dienst. Dort wird flüssiges Erdgas - Liquified Natural Gas (LNG) - wieder in Gas umgewandelt und anschließend ins Gasnetz eingespeist. Es ersetzt zum Teil jenes Gas, das bisher per Pipeline aus Russland kam. Seit dem 16. Dezember 2022 ist das Schiff der Betreiberfirma Deutsche ReGas als Teil des zweiten deutschen LNG-Terminals vor Ort - am 14. Januar 2023 hat es den Betrieb aufgenommen.

Imbissbesitzer freut sich über "Terminal-Touristen"

Thilo Siegert vor seinem Fischimbiss Matjes und Co. in Lubmin © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Thilo Siegert freut sich über Touristen, die sich die LNG-Anlage anschauen wollen.

Das Terminal zieht zahlreiche Schaulustige an, die einfach mal gucken wollen, berichtet Thilo Siegert, der einen Fischimbiss und ein Catering-Unternehmen in Lubmins Ortskern betreibt: "Es gibt hier mittlerweile sowas wie einen Katastrophentourismus. Heute waren wieder Leute da, denen ich was über die Pipeline erzählen sollte. Was ich natürlich gerne mache. Keine Presse - ganz normale Leute, die hier ein paar Tage übernachten und sich das LNG-Terminal angucken wollen. Dadurch ist Lubmin mehr in die Medien gekommen."


"Die meisten Einwohner sehen die Anlage gelassen"

Heidrun Moritz betreibt seit 30 Jahren das Hotel und Restaurant Seebrücke in Lubmin © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Hotelbetreiberin Heidrun Moritz hat schon viele Unternehmen kommen und gehen gesehen.

Die meisten Einwohnerinnen und Einwohner stehen der neuen Anlage eher gleichgültig gegenüber, sagt Heidrun Moritz, die seit 30 Jahren ein Hotel und Restaurant direkt an der Strandpromenade führt. Zu viele Karawanen seien schon vorbeigezogen an dem 2.000 Einwohner-Ort, sagt sie. "Wir haben schon viele Unternehmen kommen und gehen sehen, deshalb sehen wir die ganze Sache hier eher gelassen. Das mit dem Terminal ist jetzt so ein Hype. Mal sehen, was langfristig davon übrig bleibt."

 

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LNG-Technologie soll keine Dauerlösung sein

Die LNG-Technologie ist ohnehin nur als Übergangstechnologie erst einmal bis 2031 angelegt. Sie soll keine Dauerlösung sein. Perspektivisch soll Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen, sogenannter grüner Wasserstoff, in Lubmin produziert werden. Bürgermeister Axel Vogt hält es mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und sagt: "Bei Nordstream 2 könnte zumindest eine Röhre in Betrieb genommen werden, wenn das Ganze noch einmal untersucht worden ist. Um dann für die Zukunft nach Ende der Geschehnisse in der Ukraine eventuell wieder auf russisches Gas zu setzen. Wir haben hochtechnisierte sehr teure Anlagen am Meeresgrund stehen, die jetzt ja nur teilweise genutzt werden."

 

"Gewachsene Freundschaften nicht einfach über Bord werfen"

Lubmins Bürgermeister Axel Vogt vor der Kurverwaltung ist seit fast 14 Jahren im Amt © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Lubmins Bürgermeister Axel Vogt könnte sich vorstellen, in ferner Zukunft wieder auf russisches Gas zu setzen.

Durch die Leitungen von Nordstream 1 seien bis vor dem Krieg rund 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr geflossen. Das LNG-Terminal soll etwas mehr als fünf Milliarden Kubikmeter liefern. Die Meinungen gegenüber der neuen Anlage sind geteilt, sagt der Bürgermeister. Insbesondere US-Fracking-Gas - also Erdgas, das mittels Druck und Flüssigkeiten aus tiefliegenden Gesteinsschichten herausgedrückt wird - stehen viele sehr kritisch gegenüber, so Vogt. Und obwohl niemand Verständnis dafür habe, dass Russland in der Ukraine Krieg führt, dort Menschen sterben und Gebäude und Anlagen zerstört werden, sei die Verbundenheit zu russischen Pipeline-Projekten grundsätzlich hoch gewesen: "Ich bin im Osten geboren, hier aufgewachsen und habe Russisch-Abitur gemacht. So geht es ganz vielen - Englisch spielte da nicht so die Rolle. Und man wirft auch nach der politischen Wende gewachsene Freundschaften nicht einfach so über Bord. Es gibt immer Menschen, die nicht der politischen Klasse hier oder dort angehören. Das können und wollen wir gar nicht verleugnen und müssen unsere Vergangenheit auch gar nicht kleinreden."


"Zusammenarbeit mit Russland war immer produktiv"

Ähnliches berichtet auch Jürgen Ramthun, langjähriger Geschäftsführer der Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH EWN - mittlerweile Rentner und Vize-Präsident der IHK Neubrandenburg. Auf fachlicher Ebene - unabhängig von politischen Strömungen - sei die Zusammenarbeit mit Russland immer produktiv gewesen. Und in Bezug auf Nordstream 2 meint er: "Wenn man sich das angeschaut hat, wie die Leitungen produziert und verlegt worden sind, mit welcher Präzision, das war eine technische Meisterleistung. Auch das Bautempo war hervorragend. Wenn ich das mit anderen in Deutschland realisierten Projekte vergleiche, dann kann sich das sehen lassen. Natürlich war man da auch ein Stück weit stolz drauf."

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Bewohner klagen über Lärm

Eine Meisterleistung war die Errichtung des LNG-Terminals so gesehen auch - was die Schnelligkeit betrifft. Kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine fiel die Entscheidung, Mitte Dezember wurde es eröffnet. Regelrecht überfallen worden von der Maßnahme sind sie, sagt Holger Dinse, Bürgermeister der Gemeinde Kröslin, die an Lubmin angrenzt. Erst nach Inbetriebnahme des Terminals fanden im Januar Messungen statt, ob die Anlage lauter ist als Lärmschutz-Grenzwerte es erlauben. Denn in einigen Ortschaften, die neben Lubmin liegen, ist die Verärgerung über das konstante Motorenbrummen groß.  

Ingo Gudusch aus Spandowerhagen kann das LNG-Schiff nicht nur sehen, sondern leider auch ständig hören © NDR Foto: Wiebke Neelsen
Anwohner Ingo Gudusch kann bei ungünstigem Wind nachts nur mit Ohropax schlafen

Etwa in Spandowerhagen, 2.000 Meter Luftlinie zum Industriehafen. Wenn der Wind ungünstig steht, also aus Südwest kommt, sei es nahezu unerträglich, sagt Anwohner Ingo Gudusch: "Wenn ich in meinem Sessel sitze und lese dann höre ich dieses 'blum blum blum blum'. Das nervt schon sehr. Wenn es ganz schlimm ist, stopfe ich mir nachts Ohropax in die Ohren, um einschlafen zu können." Bei Nordostwind ginge es. Aber 70 Prozent der Hauptwindrichtung sei Südwest, und dann sind die Geräusche des Schiffes deutlich zu hören. "Das ist eine psychische Belastung, auch für meine Frau, die ist krebskrank. Und wir müssen wohl versuchen umzuziehen, wenn sich hier nichts ändert. Das ist aber sehr kompliziert, weil wir Ferienwohnungen vermieten und wir leben davon." Und tatsächlich: Messungen des TÜV Nord haben ergeben, die Geräusche überschreiten den erlaubten Lärmpegel nachts um etwa vier Dezibel.

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Umweltminister fordert Betreiberfirma auf, Geräuschpegel zu senken

Kröslins Bürgermeister Dinse ist dazu in regelmäßigem Austausch mit der Landesregierung. Auch Umweltminister Till Backhaus war schon vor Ort und hat die Betreiberfirma aufgefordert, den Geräuschpegel zu senken. Die Deutsche ReGas sucht nach der Ursache der Emissionen. Der Betrieb des Regasifizierungsschiffes mit Landstrom könnte eine Alternative sein, um den Dieselmotoren-Lärm zu verhindern. Dinse will dran bleiben: "Wir werden uns das nicht gefallen lassen. Wir können so nicht leben mit den Geräuschen. Wir sind Industriestandort, das wissen wir, und das werden wir auch nicht mehr ändern können. Aber wir werden natürlich versuchen, die Lärmbelästigung und die Belästigung der Bürger so gering wie möglich zu halten. Und da muss unsere Landes- und auch die Bundesregierung Entscheidungen treffen."

Verlust der Gewerbesteuer-Einnahmen aus den Gas-Pipelines ist deutlich zu spüren

Mit der neuen LNG-Anlage sind immerhin auch gut 40 Arbeitsplätze entstanden - diese wiegen die Nachteile der abgeschalteten Nordstream-Pipelines allerdings nicht auf, meint Lubmins Bürgermeister Axel Vogt. Die Gemeinde habe gute Rücklagen aufgebaut, spüre aber den Verlust der Gewerbesteuer-Einnahmen aus den Gas-Pipelines. Zuletzt habe Lubmin Zahlungen in Höhe von 2,75 Millionen Euro pro Jahr erhalten. Potenzielle Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff könnten das eventuell in Zukunft abfedern.

Und auch Caterer und Imbissbuden-Besitzer Thilo Siegert wird wohl wieder Aufträge bekommen, egal, wie und mit welcher Technologie es in Lubmin weitergeht: "Wir haben im Gewerbegebiet draußen schon für viele Firmen gearbeitet, für die Deutschen Ölwerke, für Nordstream 1 und 2, bei ReGas habe ich jetzt die Presse betreut, während das Terminal eingefahren wurde. Ich lebe zwar von meinem Fischbrötchenstand, aber die Saison ist sehr kurz und man muss sich breit aufstellen." Und sich breit aufstellen - das können sie in Lubmin schon lange und werden es wohl auch weiterhin.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wirtschaft | 21.02.2023 | 06:41 Uhr

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