Kommentar: Wladimir Putins Krieg ist auch unser Krieg
Russland unter Präsident Wladimir Putin hat die Ukraine buchstäblich überfallen, russische Soldaten sind einmarschiert. Lässt sich auf diplomatischem Weg noch eine Lösung des Konflikts erreichen?
Der NDR Info Wochenkommentar von Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von "The Pioneer"
Die Bilder, die Nachrichten, die Schlagzeilen dieser Woche sind kaum zu ertragen. Keine 1.000 Kilometer von Berlin entfernt überrennen Wladimir Putins Soldaten die Ukraine. Explosionen erschüttern Kiew, sie erschüttern das ganze Land. Sie erschüttern auch uns. Unermessliches Leid kommt in diesen Februar-Tagen über Europa. Der Krieg ist zurück auf unserem Kontinent, in unserer Nachbarschaft und, ja, auch in unserem Verantwortungsbereich.
Putin spielte lange ein zynisches Spiel mit der Ukraine und mit Europa. Er demonstrierte Stärke, verdrehte Nachrichten, zwirbelte Argumente zu seinen Gunsten und setzte immer wieder Nadelstiche in der Ostukraine. Europa reagierte nicht. Wir waren zu gutgläubig, zu vorsichtig, zu unwissend - und wahrscheinlich auch zu schwach. Wir hofften, es würde alles gut gehen. Wir hofften, uns die Finger nicht schmutzig machen zu müssen an Scharmützeln im fernen Osten des Kontinents.
Ukraine fällt wohl zurück in russische Hände
Aus Putins zynischem Spiel ist bitterer Ernst geworden. Die Ukraine fällt wohl zurück in russische Hände. Weil das Land zu schwach ist, sich zu verteidigen. Und weil niemand in Europa oder jenseits des Atlantiks bereit ist, das Land mit eigenen Truppen zu verteidigen. Pufferstaat zu sein, wie es die Ukraine war, ist keine besonders verlockende Perspektive mehr für jede weitere geopolitische Lage und für jedes weitere Land. Es heißt, Spielball zu sein, wenn sich die Launen der Autokraten in der Nachbarschaft wandeln.
Auch Europa hat in Russland-Ukraine-Krise schwere Fehler gemacht
Der Einmarsch in die Ukraine bleibt Putins Krieg. Aber auch Europa hat in der Russland-Ukraine-Krise schwere Fehler gemacht. Statt einer halbherzigen Perspektive zur Anbindung an EU und Nato hätte man sich entscheiden müssen: Will man eine Anbindung anbieten? Dann hätte dies konsequent in den Jahren des Aufbruchs zu Beginn des Jahrtausends diese Bindung vollziehen müssen. Oder akzeptiert man, dass die Ukraine etwa niemals Mitglied der Nato sein wird? Dann hätte man diese Option auch transparent vom Tisch nehmen können und somit wenigstens gegenüber Moskau eine klare Position präsentiert.
Europa wirkte in den vergangenen Jahren nie abschreckend
Hinterher ist man immer schlauer, das gilt in Kriegsfällen wohl noch mehr als in anderen politischen Prozessen. Aber einige Fehler sind eben auch strukturell angelegt. Gerade in den vergangenen Jahren der wachsenden Eskalation war Europa nie ein politisches Konstrukt, das gegenüber Putins Ausbreitungstendenzen hätte abschreckend wirken können. Nichts steht für die europäische Harmlosigkeit, die insbesondere eine deutsche Harmlosigkeit ist, wie die 5.000 angebotenen Helme zur Unterstützung durch die Ukraine von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
Abschreckung muss glaubwürdig vorgebracht werden
Putin wusste zu jedem Zeitpunkt, dass von diesem Kontinent keine Gefahr für seine Pläne droht. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas ist noch immer so eklatant hoch, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas kaum eine wirklich starke Position gegenüber Moskau einnehmen könnte. Ist Deutschland wirklich bereit, Geopolitik als etwas anzunehmen, in dem es tatsächlich auch hart auf hart kommen kann? In dem Abschreckung glaubwürdig vorgebracht werden muss? Nicht, um mit Säbeln zu rasseln, wie mancher zynisch sagt. Sondern um Kriege zu verhindern. So haben es übrigens auch einst zwei SPD-Kanzler im Kalten Krieg vorgemacht.
Verteidigungsbudget muss wieder wachsen
Die Weltlage ist unsicher geworden, in den vergangenen Jahren und in den vergangenen Tagen. Der Krieg ist nahe gekommen. Es ist ein schrecklicher Befund, aber einer, den wir als Realität anerkennen müssen. Wir werden uns darauf einstellen müssen. Das Verteidigungsbudget muss wieder wachsen, das Verständnis für Diplomatie und internationale Machtpolitik auch.
Das zu verstehen bedeutet nicht weniger als den Frieden, der uns so wichtig ist, zu erhalten.
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