Auf einem Kalender sind Ende der Sommerzeit und Reformationstag vermerkt © picture alliance / Zoonar Foto: Rüdiger Rebmann

Kommentar: Wie viel Sinn steckt noch in den Feiertagen?

Stand: 30.10.2022 11:16 Uhr

Mit dem Reformationstag am Montag beginnt wieder die Debatte um die gerechte Verteilung von Feiertagen im Norden und Süden des Landes.

In einem Kalender steht am 31. Oktober das Wort "Feiertag". © dpa picture alliance Foto: Bildagentur-online/Ohde
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Ein Kommentar von Stephan Richter, freier Autor

In Krisenzeiten wird gerne das Zusammenrücken der Nation beschworen. Doch das schließt Streit und neidische Blicke nicht aus. So wird gegenseitig aufgerechnet. Bei den Netzentgelten fühlt sich der Norden benachteiligt. Beim Bund-Länder-Ausgleich sieht sich Bayern als Geberland übervorteilt. Mit schöner Regelmäßigkeit kommt auch die vermeintliche Ungerechtigkeit bei der unterschiedlichen Anzahl gesetzlicher Feiertage hoch. Am Montag haben die protestantischen Hochburgen Glück. In elf Bundesländern ruht wegen des Reformationstages die Beschäftigung.

Grund zum Grollen haben die Bayern oder Baden-Württemberger trotzdem nicht. Im Gegenteil: In Ländern mit überwiegend katholischen Christen ist die Zahl gesetzlicher Feiertage größer. Schon am Dienstag wird dort - arbeitsfrei - Allerheiligen gefeiert. Dann schauen wir Nordlichter in die Röhre. Aufs ganze Jahr gesehen, kann der Unterschied bei der Anzahl gesetzlicher Feiertage in den verschiedenen Bundesländern schon einen Mini-Urlaub ausmachen. So kommen die Bayern in diesem Jahr auf 13 Feiertage, die Nordlichter von Niedersachsen bis Hamburg, von Mecklenburg-Vorpommern bis Schleswig-Holstein nur auf zehn. Wobei der Tag der Arbeit und Weihnachten in diesem Jahr auf Sonntage fallen.

Regionale Unterschiede bereichern

Stephan Richter, freier Autor, ehemals Chefredaktion Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag sh:z. © sh:z Foto: Marcus Dewanger
Stephan Richter meint, dass das gegenseitige Aufrechnen bei der Anzahl der gesetzlichen Feiertage nichts bringt.

Das Nachdenken über solche Unterschiede hat sogar ein kleines bisschen mit der Reformation zu tun, an die an diesem Feiertag erinnert wird. War sie es doch, die vor 500 Jahren den territorialen Flickenteppich in Deutschland zementierte. Während Länder wie Frankreich oder England bereits auf dem Weg zu modernen Nationalstaaten waren und der Zentralismus Oberhand gewann, setzten sich die Fürsten in deutschen Reichsstädten erst einmal religiöse Scheuklappen auf: die einen katholische, die anderen protestantische.

Die Kleinstaaterei von einst ist zum Glück überwunden, aber - wiederum zum Glück - nicht mit ihr die kulturelle Vielfalt. Die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse", wie sie im Grundgesetz postuliert wird, bedeutet nicht Gleichmacherei. Regionale Unterschiede bereichern. Man denke nur an die vielfältige regionale Küche. Oder an die Fülle hochdeutscher, mitteldeutscher und niederdeutschen Mundarten. Auch hier hatte Martin Luther seine Finger im Spiel. Mit seiner Übersetzung der Bibel formte der Reformator wie kaum ein anderer die deutsche Sprache mit. Vielfalt inspiriert und regt zum Wettbewerb an. Was bei den gesetzlichen Feiertagen allerdings nur noch bedingt der Fall ist. Die meisten von ihnen gehen auf christliche Traditionen zurück. Nur der Tag der Deutschen Einheit, der Tag der Arbeit und der freie Neujahrstag haben einen weltlichen Ursprung.

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Wie viel Gemeinschaft stiften die Feiertage noch?

Bundesgesetzlich als Feiertag geregelt ist allein der 3. Oktober. Ansonsten bestimmen die Gesetze der Länder, an welchen Tagen die Arbeit ruht. Viel Neues ist ihnen bislang nicht eingefallen. Die kirchlichen Feiertage sind geblieben, obwohl inzwischen die Mehrzahl der Deutschen nicht mehr einer christlichen Glaubensgemeinschaft angehört - geschweige denn in die Kirche geht. Wenn schon, sollte nicht über die unterschiedliche Anzahl gesetzlicher Feiertage lamentiert werden. Wichtiger ist vielmehr die Frage, wie viel Gemeinschaft und Sinn die Gedenktage noch stiften. Wo ein Vakuum entsteht, machen sich Alternativen breit. So verbinden immer mehr Menschen mit dem 31. Oktober eher Halloween als die Erinnerung an die Reformation.

Bisher haben es nur zwei Bundesländer geschafft, den Kanon gesetzlicher Feiertage inhaltlich zu beleben. Berlin feiert seit 2019 alljährlich den Internationalen Frauentag, Thüringen am 20. September den Weltkindertag. Dabei dürfte es allerdings vorerst bleiben. Denn soll die Zahl gesetzlicher Feiertage nicht ausufern, müsste mit jedem neuen Ruhetag ein alter gestrichen werden. Eine solche Debatte aber braucht derzeit wirklich keiner.

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NDR Info | Kommentar | 31.10.2022 | 09:25 Uhr