Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminiter Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) streicheln ein Kalb © dpa Bildfunk Foto: Frank Molter

Kommentar: In der Politik ist jetzt ehrliche Kommunikation gefragt

Stand: 13.05.2022 15:04 Uhr

Es ändert sich etwas im Politikbetrieb, und das liegt nicht nur am Angriffskrieg in der Ukraine. Eine neue Politikergeneration lernt, offener und ehrlicher zu kommunizieren. Sogar der manchmal äußerst zurückhaltende Bundeskanzler Olaf Scholz scheint davon langsam etwas mitzunehmen. Robert Habeck und Daniel Günther sind nur zwei Namen, die für diese neue Gesprächskultur stehen.

Ein Kommentar von Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblatt"

Wenn in diesen Tagen des Krieges über die Kommunikation der Bundesregierung diskutiert wird, hat das viel mit der Verunsicherung zu tun, die sich im Land breit gemacht und die nicht nur etwas mit dem Konflikt in der Ukraine zu tun hat. Ausgelöst wurde diese Verunsicherung schon früher, vor allem durch die Klima-Krise. Und spätestens nach dem Beginn der Corona-Pandemie ahnte man, dass die Zeit der Sicherheiten und politischen Gewissheiten vorbei ist.

In der Ära Merkel war der mündige Bürger nicht gefragt

Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblattes"
Politiker sollten so normal sprechen, wie es nur geht, meint Lars Haider.

Seit der Krieg mitten in Europa tobt, ist die Lage eindeutig: Wir Bürgerinnen und Bürger können von Politikerinnen und Politiker nicht mehr erwarten, dass sie endgültige Wahrheiten verkünden, oder zumindest so tun. Sie zu bekommen, war jahrzehntelang unser Anspruch, und dieser Anspruch deckte sich mit der Politik in der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in der nicht nur die Entscheidungen, sondern auch die Sprache alternativlos war. Die Menschen sollten zwischen den Wahlen mit Politik nicht groß behelligt werden. Wenn Merkel sich äußerte - und das war bekanntlich nicht oft -, fielen die Ansagen kurz, knapp und klar aus. Der mündige Bürger war gar nicht so sehr gefragt. Es ging um Sicherheit, um Stabilität und um unsere Komfortzonen.

Mit dieser Strategie konnten alle gut leben, die Kanzlerin genauso wie ihr Volk. Merkels Nachfolger Olaf Scholz wollte sie fortsetzen, diese leicht einschläfernde politische Kommunikation. Er hat in den vergangenen Wochen aber gemerkt, dass er damit nicht weiterkommt. Andere Politikerinnen und Politikern haben den Bruch mit der Sprache der Ära Merkel, die zuweilen eine Zumutung, dafür aber scheinbar frei von Zumutungen war, längst vollzogen. Allen voran Robert Habeck.

Zweifel, Abwägungen und Überlegungen gehören dazu

Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler versucht gar nicht mehr, den Menschen das Gefühl zu geben, er wisse und könne alles. Im Gegenteil. Er sagt: Bei mir bekommt ihr auch Zweifel, Abwägungen und Überlegungen. Es ist das, was man meint, wenn man davon spricht, dass man Habeck beim Denken zuhören kann. Es macht Spaß ihn über Politik reden zu hören, eben weil es das Gegenteil des Merkelschen Frontalunterrichts ist, und das Gefühl entsteht, dass der Abstand zwischen der Politik und dem Volk gar nicht so groß ist, wie wir immer dachten. Und dass es eben nicht die einen gibt, die alles wissen und entscheiden, und die anderen, die brav zuhören und ansonsten froh sind, dass sie sich nicht einmischen müssen.

Mit Habeck, aber auch mit Politikern wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, wandelt sich die politische Kommunikation von passiv zu aktiv, indem sie die Menschen erst politisiert und dann aktiviert. Das ist auch dringend nötig, weil wir die großen Probleme unserer Zeit nur bewältigen können, wenn möglichst viele sich daran beteiligen.

Der neue Anspruch an politische Kommunikation

Politikerinnen und Politiker, die glauben, auf Fragen nicht antworten zu müssen und die versuchen, mit Floskeln und Phrasen durchs Leben und durch Interviews zu kommen, werden es künftig schwer haben. Das mag in der Vergangenheit funktioniert haben, in einer Zeit, in der Menschen entweder der Eindruck vermittelt wurde, dass sie sich um Politik nicht zu kümmern bräuchten, oder bei ihnen selbst das Gefühl entstand, dass diese Politik mit ihrem Leben nichts zu hat. Heute spürt jeder und jede, wie Entscheidungen, die in Berlin getroffen werden, den eigenen Alltag prägen und verändern. Das begann mit den Lockdowns in der Corona-Pandemie und geht bis zu den kriegsbedingten Preiserhöhungen bei Gas und Öl. All das berührt einen, und deshalb will man mitsprechen, wenigstens verstehen können, was Politikerinnen und Politiker machen und warum.

Das ist der neue Anspruch an politische Kommunikation. Wenn man keine Gewissheiten mehr liefern kann, dann muss man es mit Ehrlichkeit probieren und Entscheidungen nicht verkünden, sondern die Bürgerinnen und Bürger offen an Entscheidungsprozesse teilhaben lassen. Nur so können sie verstehen, wie dieser oder jener Beschluss entstanden ist. Nur so können sie die politische Willensbildung nachvollziehen und das Gefühl bekommen, ein Teil derselben zu sein.

Damit das gelingt, müssen Politikerinnen und Politiker so normal sprechen und im besten Fall auch so normal bleiben, wie es nur geht. Daniel Günther hat das wie Robert Habeck vorgemacht, und damit nicht nur die Landtagswahl in Schleswig-Holstein vor einer Woche mit einem für die CDU überragenden Ergebnis von mehr als 40 Prozent gewonnen. Er ist aktuell auch der beliebteste aller 16 Ministerpräsidenten in Deutschland, so wie Habeck einer der beliebtesten Bundespolitiker ist. Will sagen: Anders zu kommunizieren und aufzutreten, hilft nicht nur der politischen Willensbildung, sondern auch der eigenen Karriere und dem eigenen Ansehen.

Neudeutsch würde man sagen: eine Win-Win-Situation.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 15.05.2022 | 09:25 Uhr