Das Hauptgebäude der Firma Windcloud von außen © NDR Foto: Isabel Lerch

Warum auf einem Rechenzentrum Blaualgen wachsen

Stand: 19.12.2021 21:00 Uhr

Rechenzentren halten das Internet am Laufen. Aber die Anlagen benötigen sehr viel Strom und haben bislang einen schlechten CO2-Fußabdruck. Wie kann der klimagerechte Wandel in der digitalen Branche gelingen? Eine Lösung könnten "grüne Rechenzentren" sein. Ein Besuch beim Start-up Windcloud in Nordfriesland.

von Marc-Oliver Rehrmann und Isabel Lerch

Wer hätte gedacht, dass Blaualgen und Internet-Server mal ein unschlagbares Duo bilden? Beim Start-up Windcloud in der Gemeinde Enge-Sande nahe Niebüll ist im Erdgeschoss ein Rechenzentrum zu finden - und auf dem Dach ein 300 Quadratmeter großes Gewächshaus für eine Blaualgen-Zucht. Dieses Tandem führt dazu, dass das kleine Rechenzentrum in Schleswig-Holstein nicht nur klimaneutral ist, sondern darüber hinaus noch Kohlendioxid aus der Luft bindet und somit sogar CO2-negativ ist. Der Clou: Die Abwärme der 120 Server wird für das Blaualgen-Wachstum genutzt. Es ist ein Modellprojekt. Denn gut 90 Prozent der Energie, mit der Server betrieben werden, bleibt normalerweise ungenutzt und entweicht in Form von Abwärme.

"Blaualgen" sind keine Algen

Der Begriff "Blaualgen" führt in die Irre. Denn es handelt sich um Bakterien, genauer gesagt um Cyanobakterien. Umgangssprachlich ist aber der Begriff "Blaualgen" gebräuchlich. Bei der Firma Windcloud wird die Gattung Spirulina gezüchtet. Sie ist im Handel auch unter der Bezeichnung "Mikroalgen" als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich - in getrockneter Form.

"Genau die Temperatur, in der sich Algen wohlfühlen"

"Algenzucht selber ist nichts Neues, Rechenzentren sind es auch nicht", sagt Stephan Sladek. Der 41-Jährige ist einer der Windcloud-Gründer. "Aber die Kombination aus beiden ist das Neue. Wir haben einfach zwei Dinge kombiniert, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben und die man auch überhaupt nicht zusammenbringt. Aber hier in dem Fall macht es wirklich Sinn, weil die Temperatur, die im Rechenzentrum entsteht, genau die Temperatur ist, in der sich die Algen wohlfühlen."

Die Blaualgen ziehen Kohlendioxid aus der Außenluft

Neben der richtigen Temperatur benötigen Blaualgen nicht viel zum Wachsen: Die Nährstoffe bekommen die "Babyalgen", die in riesigen Schläuchen gezüchtet werden, aus einer Nährlösung, in der sie schwimmen. Und dann brauchen die Blaualgen nur noch Licht und eben Kohlendioxid. Sie wachsen in einem flachen Wasserbecken, in das über kleine Schläuche Außenluft zugeführt wird. "Die Außenluft enthält zum einen Sauerstoff, zum anderen CO2", erklärt Sladek. "Und dieses CO2 wird dann von den Blaualgen aufgenommen." Der große Vorteil der "Mikroalgen" sei, dass sie schnell wachsen. Und dadurch wandeln sie in kurzer Zeit sehr viel Kohlendioxid in Biomasse um. Nach der Ernte werden die "Mikroalgen" in einem niedersächsischen Betrieb zu verschiedenen Produkten verarbeitet: als Nahrungsergänzungsmittel und in Kosmetika.

Die Blaualgen-Zucht bringt kaum Geld ein

Die Blaualgen-Zucht ist unterm Strich ein Verlust-Geschäft. Der Aufbau der Anlage hat laut Sladek rund 200.000 Euro gekostet. Und die Einnahmen sind eher gering: Während des Sommers sind zwei Ernten in der Woche möglich, wobei fünf Kilogramm Blaualgen abgeschöpft werden können. Für ein Kilogramm gibt es aktuell 35 Euro. "Das ergibt also ein paar Hundert Euro an Einnahmen. Aber das spielt natürlich im Vergleich zu dem Aufwand, der dafür betrieben wird, keine Rolle", sagt der Windcloud-Mitgründer.

Bei der Firma Windcloud sind grün leuchtende Schläuche zu sehen, in denen junge Algen in einer Nährstofflösung schwimmen. © NDR Foto: Isabel Lerch
AUDIO: Podcast Mission Klima: Wie ein Rechenzentrum CO2-negativ wird (30 Min)

Auch der Standort ist ganz bewusst gewählt

Was Stephan Sladek an dem Modellprojekt wichtig ist: Er will mit dem "grünen Rechenzentrum" zeigen, dass auch in der IT-Branche Klimaschutz möglich ist. Ihn hat es gestört, dass es in seinen vorherigen Karriere-Stationen nur darum ging, dass die Server zuverlässig und günstig sind. Deshalb gründete Sladek im Jahr 2018 Windcloud - zusammen mit anderen IT-Experten, die das gleiche Ziel hatten. Deshalb kommt der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien - hauptsächlich aus Windkraft. "Unser Gedanke bei der Standort-Suche war, dass wir uns dort ansiedeln wollen, wo die Energie erzeugt wird", sagt Sladek. Das Start-up Windcloud bezieht seinen Ökostrom nun zu 100 Prozent aus den Umspannwerken in der Nachbarschaft. Das hat folgenden Vorteil: Der Strom wird nicht ins öffentliche Netz eingespeist. Dadurch fällt das Netzentgelt weg, das rund ein Viertel des Strompreises ausmacht.

Tilman Santarius: Wirtschaften im Kreislauf ist genau richtig

"Das ist ein tolles Pilotprojekt, an dem sich andere ein Beispiel nehmen könnten". sagt Tilman Santarius. Er forscht und lehrt an der Technischen Universität Berlin unter anderem zum Thema Nachhaltige Digitalisierung. "Das Start-Up Windcloud setzt auf ein Wirtschaften im Kreislauf, indem die Abwärme als Rohstoff betrachtet wird. Und das ist der Weg in die Zukunft." Die Abwärme von Servern könne man nicht nur für die Blaualgen-Zucht nutzen. "In Berlin beispielsweise gibt es Bürogebäude, in denen die Abwärme von Servern im eigenen Haus fürs Heizen der Büroräume verwendet wird", erzählt Santarius im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise".

So schädlich ist das Internet fürs Klima

Das Internet und die digitale Datennutzung benötigen viel Strom. Etwa zwei bis drei Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen werden laut einer aktuellen Studie der Universität Lancaster durch den Betrieb von Internet und Computern verursacht. Zum Vergleich: Der Anteil des Flugverkehrs an den weltweiten CO2-Emissionen lag vor Corona bei etwa drei Prozent. Mit anderen Worten: Unsere tägliche Internet - und Computer-Nutzung ist ungefähr genauso klimaschädlich wie das Fliegen.

"Es reicht nicht, wenn Google auf Ökostrom setzt"

Die großen Namen in der digitalen Branche wie Google, Apple und Facebook setzen für ihre gigantischen Rechenzentren zunehmend auf Strom aus erneuerbaren Energien, so Santarius. "Das reicht aber nicht. Es muss auch darum gehen, die Stromverbräuche aus diesen Rechenzentren möglichst gering zu halten." Und hierfür müssten die Datenströme zurückgefahren werden. "Im Video-Konsum liegt der Haupt-Datentransfer: 60 bis 70 Prozent des weltweiten Daten-Volumens gehen auf das Konto von Videos - und die Tendenz ist drastisch steigend", macht der Digitalisierungs-Experte deutlich. "Das heißt: Alles, was wir tun, damit wir nicht noch mehr Videos in unserem Alltag abspielen, trägt zumindest dazu bei, dass die Treibhausgas-Emissionen nicht weiter ansteigen."

Auch nachhaltiges Programmieren könne zum Klimaschutz beitragen, meint Santarius. Gemeint ist, dass Entwickler schon beim Erstellen von Software den Energieverbrauch mitdenken und ihn möglichst kleinhalten. "Apps sollten möglichst so gestaltet werden, dass sie wenig rechen-intensiv und wenig daten-intensiv sind."

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Cloud-Dienste sind immer mehr gefragt

Auch die Server im nordfriesischen Enge-Sande laufen rund um die Uhr und benötigen viel Strom. Aufbewahrt werden sie in vergitterten Schränken. Die Räume werden mit Außenluft gekühlt, damit die leistungsstarken Rechner nicht überhitzen. Die Firma Windcloud bietet unter anderem sogenannte Cloud-Dienste an. Der Begriff "Cloud" steht dabei für einen Speicherort, an dem Nutzer online ihre Daten ablegen können. Das ist nicht nur für Firmen interessant. Auch immer mehr private Nutzer legen ihre großen Dateien wie Musik, Videos und Fotos nicht mehr zu Hause auf einer Festplatte ab, sondern laden sie in die Cloud. Das heißt: Sie speichern ihre Daten auf einem Server, der ganz woanders steht.

"Autonomes Fahren ist noch gar nicht eingepreist"

Windcloud-Mitgründer Sladek geht davon aus, dass die digitalen Datenmengen in Zukunft noch deutlich zunehmen werden. "Beim Autonomen Fahren zum Beispiel werden sehr, sehr viel Daten erzeugt. Das ist aktuell noch gar nicht eingepreist beim Stromverbrauch." Gleiches gelte für die künstliche Intelligenz. Sladek schließt daraus: Es sei wichtig, dass immer mehr Rechenzentren den Klimaschutz im Blick haben.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Mission Klima – Lösungen für die Krise | 20.12.2021 | 07:08 Uhr

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