Die Journalistin, Autorin und Ärztin Gilda Sahebi. © dpa picture alliance/dts-Agentur
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AUDIO: Interview: Wie geht es den Menschen im Iran nach dem Angriff auf Israel? (7 Min)

Sahebi: "Nicht der Moment, um im Iran auf die Straße zu gehen"

Stand: 15.04.2024 17:29 Uhr

Politikerinnen und Politiker vieler Staaten appellieren an Israel, die angespannte Lage im Nahen Osten nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Genau davor aber haben die Menschen im Iran große Angst, sagte die deutsch-iranische Journalistin und Autorin Gilda Sahebi auf NDR Info.

In Israel kam am Montag erneut das Kriegskabinett zusammen, um über eine mögliche Reaktion auf den iranischen Luftangriff auf Israel vom vergangenen Wochenende zu beraten. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mahnte, Vergeltung sei keine Kategorie im Völkerrecht. Auch die USA appellierten nach eigener Darstellung an Israels Premier Benjamin Netanjahu, einen möglichen Vergeltungsschlag und dessen Folgen sorgfältig abzuwägen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ähnlich.

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Der Premierminister von Israel, Benjamin Netanjahu (Mitte), leitet eine Kabinettssitzung in der Kirya, dem Sitz des israelischen Verteidigungsministeriums in Tel Aviv. © AP-Pool/dpa Foto: Ohad Zwigenberg

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Die 1984 im Iran geborene und in Berlin lebende Autorin Sahebi sprach im NDR Info Interview darüber, was die Mehrheit der Menschen in ihrem Heimatland vom Angriff auf Israel hält, warum der Protest nur in sozialen Medien, aber nicht auf den Straßen geäußert wird - und welche Propaganda die iranischen Machthaber seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 zu streuen versuchen.

Frau Sahebi, auf Videos in sozialen Netzwerken vom vergangenen Wochenende sind Autokorsos und jubelnde Menschen in Teheran zu sehen, die offenbar den Angriff des iranischen Regimes auf Israel feiern. Ist es wirklich die Mehrheit der Menschen im Iran, die sich an dem Raketen- und Drohnen-Angriff erfreut?

Gilda Sahebi: Nein, aber das ist natürlich das, was das iranische Regime gerne an die Welt senden möchte. Deswegen sind diese Bilder auch immer sehr, sehr wichtig. Und das passiert jetzt nicht nur zu diesem Anlass, sondern bei allen Anlässen - zu Revolutionstagen, zu irgendwelchen Feiertagen. An Momenten, wo es für das Regime besonders wichtig ist, Propaganda zu verbreiten. Und das ist einer dieser Momente.

Fürsprecher werden im Land also deutlich sichtbarer gemacht. Und Gegendemos? Die gibt es wahrscheinlich jetzt gerade gar nicht, oder?

Sahebi: Nein, das ist einfach zu gefährlich. Wir haben ja in den letzten eineinhalb Jahren gesehen, was passiert, wenn Menschen auf die Straßen gehen im Iran. Das ist tödlich. Das endet entweder mit Gefängnis oder mit dem Tod. Das ist also jetzt nicht der Moment, wo Menschen sich trauen, auf die Straßen zu gehen. Unter anderem übrigens, weil gerade - seit Tagen schon - das iranische Regime auf den Straßen auch noch einmal voller Gewalt vorgeht gegen Frauen, die ihre Kopftücher nicht tragen. Das geschieht ganz bewusst, damit Menschen sich nicht auf die Straßen trauen und damit nur eine bestimmte Art der Bilder nach draußen geht, nämlich diejenigen von vermeintlich feiernden Unterstützern des Regimes.

Umso spannender ist es, von Ihnen auch so eine Innensicht zu bekommen. Wie erleben denn die Menschen im Iran die Eskalation der Konfrontation mit Israel? Was haben Sie da in den vergangenen Tagen gehört? Der Angriff auf den "Erzfeind" hatte sich ja auch schon angebahnt.

Sahebi: Ja, ich habe tatsächlich gleich in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit Freundinnen und Freunden im Iran gesprochen und geschrieben. Da war Riesenpanik - vor allem noch in dieser Nacht. Eine Freundin hat erzählt, dass das Regime im Staatsfernsehen irgendwelche blutigen Szenen von etwas ganz anderem gezeigt hat. Und sie meinte, sie wollten eigentlich, dass sie glauben, dass es gerade in Israel passiert, wegen des iranischen Angriffs. Es geht den Menschen im Iran nicht gut, einfach, weil sie Angst haben, was jetzt passiert, weil sie Angst haben, dass die Lage tatsächlich eskaliert. Aus diesem Grund gab es jetzt wohl auch Hamsterkäufe in Supermärkten und an Tankstellen. Die Menschen trauen dem eigenen Regime überhaupt nicht. Und sie glauben nicht daran, dass das Regime sie schützt. Das war noch nie der Fall, im Gegenteil.

Wie und wo äußern die Iranerinnen und Iraner denn ihren Protest gegen das Regime, wenn sie - wie gerade von Ihnen beschrieben - das aus lauter Angst nicht auf der Straße machen können?

Sahebi: Weil es so gefährlich ist, haben sie sich vor allem darauf verlegt, ihre Meinung in den sozialen Medien kundzutun. Und was man da vor allem findet, ist eben, dass Menschen schreiben, dass sie das Regime nicht unterstützen. Eine Person hat mir geschrieben, dass sie unglaublich froh ist, dass es keine Toten gab in Israel, weil sie einfach Angst hat, was ansonsten passiert wäre. Das ist die Situation und die Lage bei der "normalen" Bevölkerung im Iran.

Wie bewerten Sie denn den iranischen Angriff auf Israel? Das Regime der Mullahs hatte mit den Protesten im eigenen Land schon zu kämpfen. Da ging es vor anderthalb Jahren um richtigen Kontrollverlust durch die Demos durch die Menschen, die ein anderes Land, eine andere Regierung für sich wollten. Spielt das auch mit rein, dass es diesen massiven Angriff auf Israel gab, dass man so "harte Kante" zeigen musste?

Sahebi: Ja, und es ist auch gut, dass Sie das mit ansprechen, weil mir das in dieser Debatte über "Was macht das iranische Regime?" immer viel zu kurz kommt. Dazu muss man wissen, das wichtigste Ziel oder die Staatsräson dieses Regimes ist eigentlich der Machterhalt. Dass man an der Macht bleibt, auch um seine Pfründe zu sichern - das sind ja alles Milliardäre an der Spitze dieses Staats. Daran wird alles ausgerichtet. Das Regime weiß, dass die größte Gefahr für die eigene Macht aus dem Inneren kommt, aus der eigenen Bevölkerung. Deswegen wurden diese Demonstration auch so unglaublich und nachhaltig brutal niedergeschlagen. Die Situation seit dem 7. Oktober, seit dem Überfall der Hamas auf Israel, hat das Regime dann genutzt, um sich außenpolitisch zu stabilisieren. Nämlich ganz spezifisch, indem es sich darstellt als die islamische Republik, als Anführerin der muslimischen Welt, als Verteidigerin der palästinensischen Sache, obwohl die Palästinenserinnen und Palästinenser diesem Regime absolut egal sind. Das Leben von Menschen ist den Machthabern absolut egal, auch das derjenigen in Gaza. Aber das ist die Propaganda, die es millionenfach in die Welt gestreut hat seit dem 7. Oktober. Und weil es sich eben so dargestellt hat und es immer noch tut, ist meine Einschätzung, dass eine Motivation für diesen Angriff von Samstag auf Sonntag auf Israel auch war, diese Rolle weiter zu verteidigen. Also zu zeigen, dass man sich eben nicht alles gefallen lässt, dass man die hegemoniale Macht ist in dieser Region ist und die Beschützerin der Musliminnen und Muslime weltweit. Ich glaube, dass das auch mit reingespielt hat.

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Und was glauben Sie, was jetzt weiter passieren könnte? Noch steht ja nicht fest, ob und wie Israel auf den Angriff vom Wochenende reagieren wird.

Sahebi: Ich glaube, davon wird ganz viel abhängen. Das iranische Regime hat ja interessanterweise praktisch noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag gesagt: "Das war's, wir sind jetzt fertig, wir sind durch." Weil sie natürlich auch wissen, dass, falls es wirklich eskaliert, falls es wirklich einen richtigen Gegenschlag gibt und die USA mit eintreten würden - obwohl die Vereinigten Staaten ja relativ schnell gesagt haben, dass sie genau das nicht machen werden -, dass dann ihr Machterhalt wirklich gefährdet wäre. Ich glaube, dass das Regime damit kalkuliert haben muss, dass es nicht eskaliert. Und jetzt hängt es einfach wirklich davon ab: Wie reagiert die israelische Regierung? Was passiert da?

Es heißt ja: "Raketen aus dem Iran sind geflogen." Fänden Sie es für die Menschen dort fairer, angemessener, wenn wir das nicht verkürzen und schon betonen, dass die Mullahs, das iranische Regime, die iranische Republik, die Drohnen Richtung Israel geschickt hat? Oder was wünschen Sie sich?

Sahebi: Ja, das finde ich einen ganz wichtigen Punkt. In der islamischen Republik ist es eine ganz besondere Situation, weil eben - und das haben wir in den letzten eineinhalb Jahren auch noch einmal sehr deutlich gesehen, aber eigentlich schon seit 1979 - Menschen ihr Leben geben, dass sie in Haft gehen, dass sie alles dafür tun, dass dieses Regime endlich verschwindet. Und das sind - allen Schätzungen zufolge, denen man auch glauben kann - mindestens 80, wenn nicht 85 oder 90 Prozent der Bevölkerung, die gegen das Regime sind. Das haben wir jetzt auch wieder gesehen, dass die Leute sogar in einer potenziellen Kriegssituation sagen: "Wir sind gegen unsere eigene Regierung!" Das muss man sich mal vorstellen. Normalerweise ist ja dieser "Rally-'round-the-Flag-Effekt", dass Menschen im Krieg mit der Führung ihres Landes zusammenkommen und hinter ihr stehen. Im Iran passiert aber das Gegenteil. Deshalb, weil die Führung und die Machthaber dieser islamischen Republik so weit entfernt sind von der Bevölkerung, würde ich mir das schon wünschen, dass man die Unterscheidung in diesem Fall doch noch mal ein bisschen stärker macht.

Das Interview führte Nina Zimmermann.

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NDR Info | Aktuell | 15.04.2024 | 15:07 Uhr

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