Zwei Mähdrescher auf einem Gerstenfeld. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner
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AUDIO: Bauernproteste: Was wurde in der Landwirtschaft versäumt? (4 Min)

Frust bei Landwirten: Was sind die langfristigen Perspektiven?

Stand: 13.01.2024 07:09 Uhr

Insektenschutzprogramm, Düngemittelverordnung und nun die Subventionsstreichung: Die Bauern in Deutschland sehen sich seit Jahren mit immer neuen Auflagen konfrontiert. Hinzu kommen Preisdruck und die Forderungen der Gesellschaft nach mehr Nachhaltigkeit.

von Claudia Plaß

Bei den Landwirten hat sich viel Frust aufgestaut. Es geht um weit mehr als um die geplanten Subventionsstreichungen für den Agrardiesel. Seit Jahren beklagen viele Bauern, dass sie beim Interessenausgleich zwischen den Anforderungen der Gesellschaft nach mehr Umweltschutz und Tierschutz und der Landwirtschaft einseitig belastet werden. Sie kritisieren,  dass die Politik immer neue Auflagen von ihnen fordert und die Gesellschaft ihre Leistungen nicht anerkennt.

Als Reaktion auf die andauernden Proteste luden die Spitzen der Koalitionsfraktionen die Vorsitzenden der acht Bauernverbände für kommenden Montag zu einem Gespräch nach Berlin ein.

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Schon unter Merkel keine Kehrtwende

Bereits in den vergangenen Jahren sind Landwirte mit Treckern zu Großdemonstrationen aufgebrochen. Für massiven Ärger sorgte beispielsweise das Insektenschutzprogramm für mehr Umweltschutz auf den Äckern, das die Große Koalition 2019 auf den Weg gebracht hatte.

Auch die verschärften Düngeregeln verärgerten viele Landwirte. Damit reagierte die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel auf drohende Strafzahlungen aus Brüssel wegen zu hoher Nitratbelastung des Grundwassers, vor allem in einigen landwirtschaftlichen Gebieten. Die Landwirte beklagten hohe bürokratische Hürden durch die neue Verordnung.

Nach massiven Protesten versprach die Kanzlerin, die Bauern bei neuen Regeln für mehr Umwelt- und Klimaschutz mehr einzubinden. Sie lud zahlreiche Verbände im Herbst 2019 zu einem Agrargipfel und versicherte den Landwirten, dass sie ein ein wichtiger Teil der Gesellschaft seien.

Aus dem Treffen entstand die "Zukunftskommission Landwirtschaft". Ein breites Bündnis mit Vertreterinnen und Vertretern von Landwirtschaft, Umweltschutz, von Wirtschaft und Wissenschaft tat sich zusammen und legte Empfehlungen vor, die darauf abzielen, wie Landwirtschaft ökologischer wird und die Betriebe dauerhaft von ihrer Arbeit leben können.

"Man kommt in den großen Sachfragen nicht weiter"

Agrarforscher Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin © NDR
Agrarökonom Harald Grethe mahnt schnelles politisches Handeln an.

Doch die Hoffnungen auf eine rasches Anpacken durch die Politik wurden bislang enttäuscht. Weder die Große Koalition noch die Ampel-Regierung haben die Vorschläge der Kommission in die Tat umgesetzt. Das kritisiert auch der Agrarökonom Harald Grethe, Direktor des Thinktanks "Agora Agrar" und Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Grethe zieht eine ernüchternde Bilanz: "Man kommt in den großen Sachfragen nicht weiter", sagte er dem NDR.

Grethe drängt auf schnelles politisches Handeln insbesondere beim Umbau der Tierhaltung. Viele Landwirte sind nach eigenen Angaben bereit, ihre Tiere artgerechter zu halten. Das aber bedeutet, sie müssen ihre Ställe um- oder neu bauen.

Grethe: Politik muss ernsthafte Schritte unternehmen

Von der Politik fordern die Bauern schon seit Jahren langfristige Planungssicherheit. Aber nicht nur das. Auch die Finanzierung müsse gesichert werden, damit Bauern für ihr produziertes Fleisch mit höheren Tierwohlstandards auch einen höheren Preis erhalten.

Die Politik hat zwar erste Schritte in die Wege geleitet, etwa mit einem Tierhaltungskennzeichen auf Fleischverpackungen, das Tierhaltung für Verbraucher transparenter machen soll. Die Finanzierungsfrage aber ist nicht geklärt. Die Politik müsse nun "ernsthafte Schritte" unternehmen, mahnt Grethe.

Ilchmann fordert Umsteuern bei den Marktregeln

Auch Ottmar Ilchmann fordert von der Politik, die Vorschläge für eine nachhaltigere Landwirtschaft "beherzt" aufzugreifen. Der Milchviehhalter in Ostfriesland ist auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Niedersachsen/Bremen. Von den Subventionskürzungen beim Agrardiesel wäre auch er betroffen.

Etwa 1.800 Euro Erstattung erhalte er im Jahr für den Agrardiesel, rechnet er dem NDR vor. Er plädiert für ein grundsätzliches Umsteuern bei den Marktregeln. Die Diesel-Verbilligung, erklärt Ilchmann, könne ausgeglichen werden, würde ihm die Molkerei, bei der er seine Milch abliefert, "einen halben Cent mehr" pro Liter zahlen.

Die entscheidende Frage für ihn: Wie können Landwirte ihre steigenden Produktionskosten besser an Verbraucher weitergeben. Derzeit werden die Preise eher von den Handelsketten bestimmt, im Milchmarkt sind mit Molkereien weitere Akteure am Markt.

"Proteste sind auch eine Chance"

Ilchmann setzt auf ein starkes Signal, das von den Bauernprotesten ausgeht. Auch der Wissenschaftler Harald Grethe ist überzeugt, die Proteste seien "eine Chance, um voranzukommen". Wenn die Fraktionsspitzen der Ampelparteien wie geplant am kommenden Montag zum Gespräch mit dem Bauernverband zusammenkommen, dann, hofft er, beraten die Beteiligten nicht nur über die Subventionskürzungen beim Agrardiesel, sondern auch über langfristige Perspektiven für die Landwirte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 08.01.2024 | 15:33 Uhr

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