Asylsystem in Deutschland: Fragen und Antworten
Ukraine-Krieg, Taliban-Machtübernahme, Diskriminierung in der Türkei: Menschen fliehen aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland und in die EU. Hier fühlen sich einige Kommunen mit der Versorgung und Integration der Menschen überfordert.
Deswegen gibt es immer wieder Debatten über die Zahl der Schutzsuchenden, um Grenzkontrollen und Abschiebungen. Medien-Wissenschaftlerin Nadia Zaboura beobachtet die Debatten und kritisiert: Oftmals werden Geflüchtete zu Objekten degradiert. "Der Mensch hat kein Gesicht mehr, keine Stimme und keine Lebensgeschichte. Und auch keine Wünsche, die wir ihm zugestehen. Nämlich den Wunsch, nach einem Leben in Sicherheit", sagte sie im Interview auf NDR Info.
Im diesem FAQ finden Sie einen Überblick über rechtliche Grundlagen und Begriffe, die in der aktuellen Debatte immer wieder verwendet werden.
Was sagen die Zahlen aktuell?
Bis September dieses Jahres haben 233.744 Menschen in Deutschland einen Asyl-Erstantrag gestellt. Das sind mehr als im ganzen vergangenen Jahr (217.774). Allerdings kamen 2022 noch etwa eine Millionen geflohene Ukrainerinnen dazu - in diesem Jahr nur noch wenige Zehntausend. 17.732 der Erstanträge aus diesem Jahr betrafen in Deutschland geborene Kinder. Die Zahlen von 2015/2016 sind aktuell noch lange nicht erreicht. Damals stellten 442.899 (2015) und 722.370 (2016) Menschen einen Erstantrag auf Schutz.
Warum gibt es immer noch nicht genug Unterbringungsplätze?
Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Wenn die Zahl der ankommenden Menschen steigt, führt das erstmal zu Engpässen bei Städten und Kommunen, die sich um die Unterbringung kümmern müssen. Sie suchen Wohnraum und müssen diesen zum Teil sehr kurzfristig bewohnbar machen. Aber nicht jede Kommune ist mit der Unterbringung von Geflüchteten überfordert. Die Autoren der Studie "Kommunale Unterbringung von Geflüchteten - Probleme und Lösungsansätze" kommen zu der Erkenntnis: "Dort, wo Strukturen (Netzwerke, Runde Tische, aber auch Personalstellen in der Integrations- oder Flüchtlingssozialarbeit) nach 2017 nicht abgebaut wurden, war man beim erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen besser gerüstet." Sabine Hess, Direktorin des Centers for Global Migration Studies an der Universität Göttingen fordert, dass die Kommunen - auch mit finanziellen Mitteln - dauerhaft krisenfester gemacht werden sollen und die Aufnahme neuer Geflüchteter nicht als kurzfristige Lösung, sondern als Marathon gesehen werden müsse. "Wir haben nach 2015/2016 gesagt: Der Migrationsdruck ist weiter hoch. Wieso ist trotzdem nachhaltige Infrastruktur abgebaut worden?"
Was ist das Recht auf Asyl?
Als Asylrecht wird in Deutschland einerseits das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte bezeichnet. Aber auch alle anderen nationalen und internationalen Schutzrechte für bedrohte Menschen - also etwa das Flüchtlingsrecht und der sogenannte subsidiäre Schutz - gehören dazu. Ein Recht auf Asyl haben demnach Menschen, die im Falle der Rückkehr in ihr Herkunftsland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sein werden. Beispielsweise aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder wegen ihrer sexuellen Orientierung.
Welche rechtliche Grundlage steckt dahinter?
Insbesondere angesichts der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden durch die Nationalsozialisten wurde klar, dass es einen allgemeinen und international gültigen Schutzstatus für Menschen auf der Flucht geben muss. Daher gilt in Deutschland seit der Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bildet die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Innerhalb der EU legt das Europäische Asylsystem (GEAS) die Mindeststandards für die Durchführung von Asylverfahren und die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden fest.
Wer hat kein Recht auf Asyl?
Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind als Gründe für eine Asylgewährung gemäß Artikel 16a GG ausgeschlossen. Auch wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat kein Recht auf Asyl. Als sichere Drittstaaten bestimmt das Asylgesetz die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz. Ebenso erhalten Geflüchtete keine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung, wenn sie wegen eines Verbrechens zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt wurden und deshalb als "Gefahr für die Sicherheit Deutschlands" oder "Gefahr für die Allgemeinheit" eingestuft werden. Ein weiterer Ausschlussgrund ist, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass die Person ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein anderes schweres Verbrechen begangen haben soll.
Wie viele Schutzsuchende werden abgelehnt?
Die Entscheidung über einen Asylantrag fällt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach einer inhaltlichen Prüfung. Die bereinigte Schutzquote, also die Menschen, die nach inhaltlicher Prüfung als schutzbedürftig anerkannt werden, beträgt 71 Prozent (Stand August 2023). Migrationsforscher Bern Kasparek sagt bei NDR Info: "Über Dreiviertel der Personen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, haben tatsächlich ein berechtigtes Schutzinteresse. Und kriegen dementsprechend einen Status."
Welche Leistungen erhalten Asylbewerber?
Asyslbewerber erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In der Erstaufnahme bekommen sie ein Taschengeld von 182 Euro für den persönlichen Bedarf und ein Bett und Mahlzeiten gestellt. Da sie nicht krankenversichert sind, werden sie dort medizinisch versorgt - allerdings nur bei Schwangerschaft oder aktuen Schmerzen. Leben sie in einer weiterführenden Unterkunft, in der sie sich selbst versorgen müssen, erhalten Alleinstehende 410 Euro, also etwa 40 Euro weniger als Bürgergeld-Bezieher. In einigen Bundesländern erhalten sie dann eine Krankenkarte, in anderen müssen sie sich für jede Behandlung eine Erlaubnis holen. Zahnärzte dürfen nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen behandeln.
Welche Art von Grenzkontrollen sind in der EU möglich?
Im Schengen-Raum, der die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten umfasst, wurden Kontrollen an den Binnengrenzen für den Personenverkehr abgeschafft. Der Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen soll durch effizientere Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen ausgeglichen werden.
Aufgrund von Sicherheitsbedenken oder Migrationsströmen haben einige Länder eine temporäre Grenzkontrolle in den vergangenen Jahren wieder eingeführt. So auch Deutschland im Herbst 2015 bei Kontrollen in Bayern an der Grenze zu Österreich, die seither immer wieder verlängert wurden. Grund dafür ist die Fluchtbewegung von Menschen über die Balkan-Route nach Westeuropa. Auch im Nachbarland Dänemark gibt es immer wieder temporäre Grenzkontrollen.
Was ist eine Schleierfahndung?
Schleierfahndungen sind verdachts- und anlassunabhängige Personenkontrollen durch Polizeibeamte gegen illegale Aktivitäten wie etwa Drogenschmuggel oder Schleuserkriminalität. Sie werden insbesondere in Grenznähe durchgeführt, seitdem systematische Kontrollen durch das Schengener Abkommen weggefallen sind.
Was bringen Grenzkontrollen?
Aktuell gibt es Grenzkontrollen zu mehreren Ländern, wie Polen oder Österreich. Die Wirksamkeit stationärer Grenzkontrollen wie zu Tschechien und Polen ist unter Experten allerdings umstritten. Stationäre Kontrollen seien zwar "in kürzester Zeit" machbar, allerdings nicht auf Dauer, sagte GdP-Vorstandsmitglied Lars Wendland. Sie bedeutet einen hohen Aufwand für die Polizei. Außerdem würden Schleuser feste Kontrollen einfach umfahren, so Wendland.
Prinzipiell gilt: "Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen." Doch nach geltendem Recht haben Asylsuchende Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres Antrags. Daher argumentieren viele Juristen: Ohne diese Prüfung dürften Schutzsuchende - auch wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen - nicht zurückgewiesen werden.
Wie viele Menschen wurden bislang an den Grenzen aufgegriffen?
Um die neu angeordneten Schwerpunktkontrollen und die intensiveren Schleierfahndungen kümmert sich die Bundespolizei. Sie stellte bis Ende August 2023 bundesweit insgesamt rund 71.000 unerlaubte Einreisen fest. Hauptherkunftsländer sind Syrien, Afghanistan, Türkei und Irak. Also Länder, aus denen viele Menschen mit einem berechtigten Schutzinteresse kommen.
Wie versuchen EU-Staaten flüchtende Menschen zu stoppen?
Die EU hat sich in den vergangenen Jahren abgeschottet. Es gibt Grenzzäune zwischen Griechenland und der Türkei, zwischen Ungarn und Serbien. Zudem wurde die Seenotrettung auf dem Mittelmeer eingeschränkt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, die Überfahrt nicht zu überleben. Ein Deal mit Libyen führt auch dazu, dass die dortige Küstenwache Boote abfängt und die Menschen zurück nach Libyen bringt, wo ihnen Ausbeutung und Folter drohen. Anfang Oktober 2023 einigten sich die EU-Staaten auf eine neue Krisenverordnung, die für Fälle einer drohenden Überlastung der Mitgliedsstaaten verschärfte Maßnahmen vorsieht.
Kann man Fluchtrouten "schließen"?
"Es wurden Grenzen aufgebaut, aber die Zahlen steigen trotzdem. Die Milliarden hätte man besser in den Wohnungsbau investieren können, davon würden dann auch Deutsche profitieren", sagt Expertin Sabine Hess von der Uni Göttingen.
Es sei eine Illusion der Politik, dass man Fluchtbewegungen mit Maßnahmen regulieren könne, sagt auch Migrationsforscherin Birgit Glorius von der TU Chemnitz - erst recht in einer Welt, die von offenen Grenzen profitiert. "Man sollte das gesamte System von Migration und Flüchtlings-Aufnahme neu denken und andere Einwanderungsregime entwickeln."
Schließe man Grenzen, würde das Menschen nicht abhalten, nach Deutschland zu kommen, sagt auch Ramona Rischke vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Denn die Fluchtursachen seien dadurch ja nicht weg. "Die Wege verlängern sich und werden komplizierter. Die Routen sind deutlich gefährlicher."
Was sind Pull- und Push-Faktoren?
Experten unterscheiden bei den Gründen für Migration und Flucht Push- und Pull-Faktoren. Push-Faktoren bewegen Menschen dazu, ihr Land zu verlassen. Pull-Faktoren bewegen Menschen dazu, in ein Land einzuwandern. Zu den Push-Faktoren gehören Kriege, Verfolgung, politische Unterdrückung, Armut, Hunger oder Arbeitslosigkeit. Zu den Pull-Faktoren gehören vor allem soziale Kontakte, aber auch gute Arbeitsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten. "Die Forschung würde sagen, familiäre Verbindungen sind wesentlich ausschlaggebender als Fragen von monetärer Unterstützung durch den Staat", sagt Miogrationsforscher Bernd Kasparek.
Oft wird auch die Existenz von zivilen Seenotrettern im Mittelmeer als Pull-Faktor bezeichnet. Das DeZIM hat dazu eine Studie durchgeführt. "Die zeigt sehr deutlich, dass es keine Sogwirkung durch Seenotrettung gibt. Wir können das wissenschaftlich überzeugend ausschließen", sagt Ramona Rischke. Entscheidend für die Zahl der Asylsuchenden, die nach Deutschland kommen, seien die Entwicklungen in den Herkunftsländern und nicht die Ausgestaltung der Sozialsysteme.
Migration sei zu komplex, um sie mit einem einfachen Push- und Pull-Modell zu erklären, sagt Migrationsforscher Tobias Heidland von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Was ist eine Obergrenze?
Eine Debatte über die Umsetzung einer Obergrenze für Geflüchtete gibt es bereits seit Jahren. Sie soll festlegen, wie viele Asylsuchende pro Jahr maximal nach Deutschland kommen dürfen. 2015 forderte der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) eine Obergrenze von jährlich 200.000 Geflüchteten. Das würde bedeuten, dass, wenn mehr Schutzsuchende kommen als von der "Obergrenze" vorgesehen, sie keinen Asylantrag in Deutschland stellen könnten. Das hätte weitreichende Folgen: Deutschland müsste demnach das individuelle Asylrecht abschaffen und aus vielen internationalen Verträgen austreten. Das wären zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Europäische Menschenrechtskonvention. Diese von Seehofer 2015 geforderte Obergrenze wurde allerdings nach 2016 jahrelang nicht mehr überschritten. Erst im vergangenen Jahr überstieg die Anzahl der Asyl-Erstanträge die 200.000er-Marke.
Was bringt eine Obergrenze?
Eine Debatte zur Umsetzung einer Obergrenze für Schutzsuchende lohne sich nicht, sagt Migrationsexpertin Birgit Glorius. Juristisch sei diese nicht umsetzbar. "Wir können niemanden abweisen, wenn wir eine Grenze erreicht haben." Unter den jetzigen humanitären Verpflichtungen und dem Recht auf Asyl könne man niemanden abweisen, nur weil die Obergrenze erreicht sei. Laut dem Asylrecht muss jeder Asylantrag geprüft werden. Es sei wichtiger, auf den verschiedenen Stufen der Integration zu schauen, wo es noch Kapazitäten gäbe. Dafür müssten die EU-Länder ihre Kapazitäten für die Aufnahme von Geflüchteten offenlegen, um dann eine bessere Verteilung zu ermöglichen.
Wie funktioniert die Verteilung in der EU?
Seit 2013 gilt die Dublin-III-Verordnung. Sie besagt, dass ein Asylantrag innerhalb der EU nur einmal geprüft wird, und zwar von dem EU-Land, in dem der Antragsteller zuerst registriert wurde. Ziel der Initiative war es ursprünglich, die Asylverfahren zu beschleunigen und gleichzeitig klarzustellen, welcher Mitgliedsstaat verantwortlich ist. Mit dem System ist es fast unmöglich, zuerst in Deutschland Asyl zu beantragen, da Ausländer ohne Visum in der Regel über andere EU-Statten einreisen müssen. Diese Staaten sind dadurch überlastet.
Viele Flüchtende wollen nicht dauerhaft in Polen, Italien oder Griechenland bleiben, da dort die Lebensbedingungen schlecht und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert sind. Zudem haben sie oft in anderen Ländern soziale Kontakte, von denen sie sich Hilfe beim Ankommen erhoffen. Das Dublin- System begünstigt so gefährliche Schleusungen innerhalb der EU. Zudem weigern sich einige Länder wie Ungarn, Flüchtende aufzunehmen. Experten und Politiker betonen: Das Dublin-System funktioniert schon seit Jahren nicht mehr wie geplant.
Sind Asylverfahren an den EU-Außengrenzen oder in anderen Ländern eine Lösung?
Bundesinnenministerin Faeser (SPD) plädiert seit Langem für Asylverfahren an EU-Außengrenzen. Bund und Länder haben vereinbart, zu prüfen, ob Asylverfahren in anderen Ländern durchgeführt werden können. Das bringt zahlreiche Fragen und Probleme mit sich: Bereits seit Jahren sind Griechenland, Spanien und Italien überfordert mit einer menschenwürdigen Versorgung der Ankommenden. Dort droht Obdach- und Perspektivlosigkeit. Italien hat das Asylrecht verschärft, in Ungarn sind faire Verfahren nicht garantiert. Besonders in Griechenland und auf dem Mittelmeer sind zahlreiche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Unklar ist also, wie Deutschland eine menschenwürdige Behandlung und rechtssichere Asylverfahren an den EU-Grenzen garantieren kann. Asylzentren an den Außengrenzen würden Probleme nur verteilen, nicht lösen, sagt Expertin Glorius. "Das bedeutet, dass wir Hotspots haben, die pragmatische Krisenherde sind, wo es an banalen Dingen wie Trinkwasser mangelt."
Es ist aktuell auch kein konkreter Vorschlag öffentlich, in welchem Nicht-EU-Land es möglich wäre, Asylanträge für Deutschland rechtssicher zu bearbeiten und die Antragsteller menschenwürdig unterzubringen.
Wer gilt als ausreisepflichtig?
Menschen, die keinen Aufenthaltstitel für Deutschland besitzen, müssen sobald wie möglich ausreisen. Tun sie das nicht freiwillig, müssen sie abgeschoben, also gesucht und mit der Polizei an die Grenze gebracht werden. Bei "Ausreisepflichtigen" handelt es sich um abgelehnte Asylbewerber*innen sowie um ausländische Studierende, Arbeitnehmer*innen oder Touristen, deren Visum abgelaufen ist. Abgelehnte Asylbewerber*innen stellen etwa die Hälfte der Ausreisepflichtigen. Können sie nicht ausreisen, erhalten sie eine Duldung. Mit dieser können sie legal in Deutschland bleiben, allerdings gilt diese oft nur Tage, Wochen oder Monate. Sie kann zudem jederzeit widerrufen werden. Geduldete Menschen bekommen daher keinen Integrationskurs, dürfen oft nicht arbeiten und haben große Schwierigkeiten eine Wohnung zu finden.
Wie ist die Situation bei Ausreisepflichtigen?
Aktuell sind etwa 280.000 Ausländer ausreisepflichtig - davon haben 80 Prozent eine Duldung. Von diesen etwa 225.000 Menschen mit Duldung sind etwa 62.145 minderjährig. Die meisten kommen aus dem Irak, Afghanistan, Nigeria und Russland.
Abgeschoben wurden die meisten Menschen im ersten Halbjahr 2023 nach Österreich, Georgien und Nordmazedonien. 1.375 von ihnen waren unter 18 Jahren. Abschiebungen bedeuten einen hohen personellen und finanziellen Aufwand. So wurde im Februar ein Mensch von vier Beamten begleitet mit einer Charter-Maschine für gut 120.000 Euro in den Niger abgeschoben. "Im ersten Halbjahr 2023 wurden insgesamt 5.555 Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei und der Länderpolizeien sowie anderer Länderbehörden zur Begleitung eingesetzt." Dadurch seien Kosten in Höhe von fast 4 Mio. Euro entstanden. Abgebrochen werden Abschiebungen meist wegen Widerstands der Person oder weil die Airline die Beförderung verweigert.
Sind mehr Abschiebungen möglich?
Seit Jahren fordern Politiker, mehr Menschen abzuschieben. Doch das ist in der Praxis schwierig. Denn die Gründe für eine Duldung sind vielschichtig: Etwa jeder Fünfte besitzt eine Duldung wegen fehlender Reisedokumente. Diese muss der Herkunftsstaat ausstellen. Einige Länder verweigern dies und helfen nicht dabei, ihre Landsleute zurückzunehmen. Wegen dieses Problems strebt die Bundesregierung Migrationsabkommen an. Der Sonderbevollmächtigte Joachim Stamp spricht aktuell unter anderem mit Georgien darüber. Aus dem Land haben derzeit etwa 1.300 Menschen eine Duldung, weil ihnen Reisedokumente fehlen. Migrationsforscher Gerald Knaus schlägt vor, dass die Bundesregierung den Partnerstaaten im Gegenzug Visa-Erleichterungen anbietet.
Etwa jeder zehnte Geduldete kann wegen ungeklärter Identität oder familiärer Bindung zu anderen Duldungsinhabern nicht abgeschoben werden. Zudem ist es nicht erlaubt, in Länder abzuschieben, in denen den Menschen Gefahr droht. Andere Geduldete arbeiten oder befinden sich in einem behördlichen Verfahren. Mehr Abschiebungen von Geduldeten zu ermöglichen, ist also oft gar nicht möglich und bedeutet viel kleinteilige, langwierige Arbeit.
Welche Lösungen gibt es in der Forschung?
Menschen fliehen vor Konflikten und Krisen. Diese zu vermeiden, ist laut Experten der wichtigste Faktor, um Flucht zu verhindern. Die relevante Frage lautet also: Wie kann man Fluchtursachen verhindern, sodass niemand fliehen muss?
Die meisten Menschen fliehen in die Nachbarländer von Konfliktregionen - Syrer beispielsweise in den Libanon und die Türkei. Diese Länder zu stärken, damit die Geflüchteten in der Nähe ihrer Heimat bleiben können, ist ein weiterer wichtiger Aspekt.
Wenn Deutschland einfacher Visa zum Beispiel für die Arbeitssuche vergeben würde, müssten weniger Menschen gefährliche Fluchtrouten nutzen. "Wenn wir weniger irreguläre Migration haben wollen, müssen wir mehr reguläre Wege schaffen", sagt Ramona Rischke. Das zeigt auch die Abmachung mit dem Westbalkan, dank der Mensch von dort einfacher Arbeitsvisa bekommen, sagt Professorin Glorius. "Diese Regelung hat es geschafft, die Asylantragzahlen aus den Westbalkanstaaten signifikant zu reduzieren."