Kommentar: Rücktritt nach Amoklauf in Hamburg könnte nötig werden

Stand: 29.04.2023 08:40 Uhr

Im Fall des Amoklaufes von Hamburg-Alsterdorf gibt es neue Erkenntnisse - und die haben es in sich: Die Generalstaatsanwaltschaft und das Dezernat Interne Ermittlungen ermitteln gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde wegen fahrlässiger Tötung. Und: Es zeichnet sich ab, dass der Amoklauf wirklich hätte verhindert werden können. Sollte sich das bewahrheiten, muss dieser Fall politische Konsequenzen haben, meint NDR Reporter Finn Kessler.

von Finn Kessler

Mich macht das fassungslos. Es ist das eingetreten, was sich Stück für Stück abzeichnete: Der Amoklauf hätte wohl verhindert werden können. In der Waffenbehörde waren nämlich eigentlich alle Informationen vorhanden, um Philipp F. seine Waffe wegnehmen zu können. Eine Mitarbeiterin hatte Kenntnis von dem wirren Buch, das der Amokläufer geschrieben hatte. Sie hatte es aber weder heruntergeladen, noch bestellt oder gelesen. Ein anderer Kollege wusste, dass Philipp F. psychische Probleme hatte. Und er kannte die Hintergründe eines anonymen Schreibens an die Waffenbehörde, das er selbst als Form der Warnung empfohlen haben soll. Das alles verschwieg er.

Ermittlungen gegen einen Polizisten

Jetzt ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen diesen Mitarbeiter - einen Polizisten - wegen sechsfacher fahrlässiger Tötung. Eine Mitschuld an dem Amoklauf ist also möglicherweise in der Waffenbehörde, bei der Polizei selbst, zu finden.

Weitere Informationen
Blumen und Kerzen vor dem Eingang eines Gebäudes der Zeugen Jehovas in Hamburg, in es am 9. März ein Amoklauf gab. © Daniel Bockwoldt/dpa

Amoktat in Hamburg am 9. März bei den Zeugen Jehovas: Was bisher bekannt ist

Was wussten Polizei und Sportschützen-Club wann und von wem über den Täter? Gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde wird ermittelt. mehr

Jemand muss die politische Verantwortung tragen

Polizeipräsident Ralf Martin Meyer hatte sich in den letzten Wochen noch mit breiter Brust vor seine Behörde gestellt und behauptet, die Mitarbeiter hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Nun wissen wir: Da hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Acht Menschen sind tot. Dafür muss jemand die politische Verantwortung übernehmen. Und da dürfen sich sowohl Innensenator Andy Grote (SPD) als auch der Polizeipräsident angesprochen fühlen.

Arbeitsabläufe müssen auf den Prüfstand

Ein Rücktritt allein behebt das Problem aber nicht. Die Arbeitsabläufe in der Waffenbehörde müssen hinterfragt und überprüft werden. Denn dort wird entschieden, wer in Hamburg eine scharfe Waffe bekommt. Auch die Rolle des "Hanseatic Gun Clubs" muss untersucht werden. Denn dort sollen im großen Stil falsch ausgefüllte Zeugnisse ausgestellt worden sein, die zwingend für die Beantragung einer Waffenbesitzkarte notwendig sind. Und das, obwohl entsprechende Prüfungen nicht bestanden worden sein sollen. Auch Philipp F. hätte wohl gar keine Waffe besitzen dürfen. Ist das also gängige Praxis in dem Schießclub? Auch das muss die Polizei untersuchen. Das ist sie den Opfern des Amoklaufes schuldig.

Weitere Informationen
Hamburgs Innensenator Andy Grote (rechts) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer stellen die Kriminalstatistik für 2022 vor. © dpa Foto: Christian Charisius

Versäumnisse vor Amoktat? Innenbehörde hält an Polizeipräsident fest

Nach der Amoktat gegen Zeugen Jehovas in Hamburg wird gegen einen Behördenmitarbeiter ermittelt. Der Polizeipräsident soll aber im Amt bleiben. (28.04.2023) mehr

Polizisten stehen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf. © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius

Amoklauf bei Zeugen Jehovas: Wohnungen und Büros durchsucht

Hamburgs Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde. Auch drei Sportschützen hat sie im Visier. (28.04.2023) mehr

Das Rathaus in Hamburg © Colourbox Foto: Giovanni

Der Hamburg-Kommentar

Jeden Sonnabend kommentiert die Aktuell-Redaktion von NDR Hamburg das politische Geschehen in der Hansestadt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Der Hamburg-Kommentar | 29.04.2023 | 08:40 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Der Geiselnehmer steigt mit seinem Kind auf dem Arm am Flughafen aus seinem Fahrzeug nahe einem Flugzeug. © picture alliance/dpa | Jonas Walzberg Foto: Jonas Walzberg

Geiselnahme am Hamburger Flughafen: 35-Jähriger vor Gericht

Der Mann hatte seine Tochter entführt und den Hamburger Flughafen für 18 Stunden lahmgelegt. Heute startet der Prozess. mehr