"#wirsindmehr ist eine Verpflichtung für die Zukunft"
Rund 65.000 Menschen kamen zu einem Konzert nach Chemnitz und protestierten gegen Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt. Zuvor hatte es dort nach einem Mord auf dem Stadtfest Ausschreitungen gegeben. Aber ist ein Konzert die richtige Antwort auf die Ereignisse in Chemnitz?
Ein Gastkommentar von Lamya Kaddor
Über viele kluge und weniger kluge Aussagen zum #wirsindmehr-Konzert Anfang der Woche in Chemnitz habe ich mich geärgert: Zu einem Gratis-Konzertevent zu gehen, dessen Eintrittskarte sonst viel Geld kosten würde, sei doch nichts wert. Es standen nur Punkbands, Rocker oder Rapper auf der Bühne, nichts für die Mitte der Bevölkerung. Was bringen schon einzelne Großereignisse? Sind damit etwa die Probleme Rassismus und Neonazismus gelöst? Mitnichten, aber wären die Probleme ohne das Konzert nicht gleich groß oder vielleicht noch größer?
Von Chemnitz ist ein eindrucksvolles Zeichen gegen Rechts ausgegangen. Danke, an alle Teilnehmer. Es ist etwas anderes, ob man im beschaulichen, studentisch geprägten Münster in Westfalen auf so ein Konzert geht oder in einer Stadt in einem Bundesland, das nicht erst seit heute verstärkt Probleme mit Rechtsextremismus hat - und diese Erkenntnis ist kein Sachsen-Bashing; es ist schlicht dieselbe Erkenntnis wie die, dass es im Islam Probleme mit Fundamentalisten gibt und die Betroffenen mehr tun müssen als andere.
Mit dem Mythos aufräumen, die Rechten seien das Volk
In der Tat haben die Bands nicht gerade die Musik gespielt, die ich täglich streame. Aber soll man darauf warten, bis eine solche Konzert-Demo paritätisch jeden einzelnen Musik-Geschmack abdeckt? Bis neben Punk auch Beethoven, Ikke Hüftgold und arabischer Pop gespielt werden?
Nein, es zählt der Augenblick. Der überraschend große Erfolg des Abends - die Veranstalter hatten mit 20.000 Besuchern gerechnet und es kamen mehr als dreimal so viele - wird in Erinnerung bleiben. Er trägt dazu bei, auch mit Blick auf Sachsen mit dem Mythos aufzuräumen, die Rechten seien das Volk und sprächen für die schweigende Mehrheit der Bevölkerung.
Ein starkes Zeichen auch gegen die Resignation
Und nicht nur das. Der Erfolg ist eine wichtige Botschaft an die von Pro Chemnitz, Pegida, AfD und Co angefeindeten Flüchtlinge, Einwanderer oder Muslime. Diese Gruppen neigen allzu oft dazu, in Resignation zu verfallen: "In Deutschland sind doch eh alle gegen uns“. Einzelne schlechte Erfahrungen reichen oft, um sich gänzlich abgelehnt zu fühlen. Da sind viele Muslime, aber auch andere Minderheiten zu sensibel. Und darüber übersehen sie, dass die Mehrheit in Deutschland sehr wohl an ihrer Seite steht - auch in Sachsen. Gegen dieses Vergessen und diese Opferhaltung können solche Veranstaltungen ein starkes Zeichen setzen. Auch deshalb sind sie so wichtig. Und deshalb ist es nachrangig, ob sich bei so einem Event auch Kritisches findet. Das findet sich immer.
Probleme werden gewiss nicht durch Konzerte gelöst. Was - im Übrigen - niemand behauptet hat. Alle Künstler haben zwischen den Liedern deutlich gemacht, dass dies nur ein Anfang sei. Dass man auch künftig den Hintern hoch und im Alltag die Zähne gegen Rechts auseinander kriegen müsse. "Arsch huh, Zäng ussenander" hatten schon die Kölner gegen die ausländerfeindlichen Übergriffe in den 90er Jahren gerufen. Das gilt bis heute.
Weg von Handy und Laptop, raus ins echte Leben
Probleme werden aber erst recht nicht gelöst, indem man bloß seine Meinung ins Netz postet, wie es heute viele machen. Das ist zwar besser als nichts. Aber um unsere Demokratie und unsere Freiheit gegen ihre rechten Feinde zu verteidigen, muss mehr kommen. Weg von Handy und Laptop, raus ins echte Leben. Das muss die Parole für jeden einzelnen sein.
Die Konzert-Demo von Chemnitz war eine großartige Ermutigung. Solche Events sind nötig, um Gesellschaften aufzurütteln. Allerdings: Das Motto "Wir sind mehr" ist auch eine besondere Verpflichtung für die Zukunft. Es gilt, das auch weiter deutlich zu zeigen!
