Wir sind genervt! Die Deutschtürken und die Erdogan-Fans
Die Spitzel-Affäre, der Fall Deniz Yücel, die umstrittenen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker - die deutsch-türkischen Beziehungen sind mehr als angespannt. Schon lange sind die Konflikte aus der Türkei auch im Norden angekommen. Die muslimische Community ist gespalten. Und viele Deutschtürken sind sauer. Auch auf die Medien.
Ein Kommentar von Canan Topcu
Die deutschen Medien berichten zurzeit sehr viel über uns Deutschtürken. Und: Sie berichten so, als wären die meisten von uns Fans des türkischen Staatspräsidenten. Immer wieder kommen seine Anhänger zu Wort - mit Sätzen wie "Ich liebe Erdogan" oder "Türkei meine Heimat, Erdogan mein Staatspräsident". Ich frage mich, wie die Journalisten und Experten darauf kommen, dass die meisten von uns Anhänger von Recep Tayyip Erdogan sind. Ich bezweifle das. Es gibt nämlich gar keine umfassende Untersuchung über die politischen Präferenzen von Deutschtürken. Dass die Mehrheit von ihnen auf Erdogans Seite ist, wird oft mit dem Ergebnis der Parlamentswahlen vom Herbst 2015 belegt: Rund 60 Prozent der Stimmen aus Deutschland gingen an die AKP. Dabei wird eines nicht bedacht: Nur ein Drittel der rund 1,4 Millionen stimmberechtigten Deutschtürken ist überhaupt zur Wahl gegangen.
Vor allem aber: Es gibt auch sehr viele Deutschtürken wie mich. Auch wir lieben unser Herkunftsland, weil wir schöne Kindheitserinnerungen, Verwandte und Freunde dort haben. Wir sind aber keine Erdogan-Anhänger. Denn wir sind nicht so blind, um zu übersehen, dass er die Menschenrechte mit den Füßen tritt, Andersdenkende zu Terroristen erklärt und sie einsperren lässt.
Auch wir mussten uns durchsetzen
Uns macht die Entwicklung in der Türkei traurig und wütend. Aber nicht nur das. Wir sind genervt, dass die Erdogan-Anhänger das Bild der Deutschtürken hierzulande bestimmen. Auffallend ist, dass viele von ihnen kaum erklären können, warum sie sich so sehr mit ihm identifizieren. Das machen - mit dem Hinweis auf die fehlende Anerkennung - andere für sie; nämlich die sprachlich eloquenten und gut ausgebildeten Handlanger von Erdogan in der UETD, dem Ableger der türkischen Regierungspartei AKP.

Meine Güte, was soll diese Stilisierung zum Opfer! Was ich all den Erdogan-Fans, besonders den hier Geborenen, mitteilen möchte: Wir Deutschtürken, die nicht Feuer und Flamme sind für den Mann mit Großmachtfantasien, wir sind auch nicht mit Samthandschuhen angefasst worden. Auch uns ist nichts geschenkt worden, auch wir mussten uns gegen Widerstände durchsetzen. Um mit den Worten des türkeistämmigen Wissenschaftlers Ahmet Toprak zu sprechen: "Man muss nicht zum Erdogan-Anhänger werden, weil man diskriminiert wurde." Recht hat er!
Wir wollen keinen türkischen Wahlkampf in Deutschland
Im Gegensatz jedoch zu denen, die hier von den Vorzügen der Demokratie profitieren, aber keinerlei Probleme damit haben, dass Erdogan auf dem Weg zum Alleinherrscher ist, sind wir für die Medien offensichtlich nicht interessant genug. Anders ist es nicht zu verstehen, warum wir so wenig zu Wort kommen.
Wir wünschen uns, dass endlich auch Erdogans Kritiker und Gegner mehr von den Medien wahrgenommen werden. Wir wollen hier keinen türkischen Wahlkampf. Denn die Mehrheit der Türkeistämmigen identifiziert sich mit Deutschland und dem hiesigen politischen System und lehnt Erdogan und seine Politik ab. Diese Botschaft lauter als bisher zu übermitteln, wäre auch ein starkes Signal in Richtung Türkei. AKP-Politiker würden so nicht ermutigt, in deutschen Städten um Stimmen für Erdogan zu werben.
