Stand: 14.03.2017 16:42 Uhr

Die Unverstandenen: Deutsch-Türken im Norden

von Mareike Fuchs & Philipp Hennig

Die aktuelle politische Lage wirft ein Schlaglicht auf die Gruppe der Deutsch-Türken. Viele leben seit Jahrzehnten in Deutschland und fühlen sich hier grundsätzlich wohl, aber ihr Hauptinteresse gilt oft nicht der deutschen Politik, sondern der türkischen. Präsident Erdogans Politik erhält viel Zuspruch, seine Popularität ist groß. Auf der Suche nach dem Warum wird schnell einer der Gründe deutlich: Erdogan schenkt den Deutsch-Türken offenbar die Aufmerksamkeit, die ihnen im Alltag oft fehlt. Denn viele von ihnen fühlen sich benachteiligt und ringen täglich um Anerkennung.

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Diskriminierung ist alltäglich

"Ich hab mir ein Auto gekauft, dann hieß es: 'Wie kannst du dir das leisten? Was für Geschäfte machst du nebenbei?' Nur weil ich ein Türke bin! Dabei arbeite ich, ich zahle Steuern. Ich bin 29 Jahre alt, wenn ein Deutscher sich in meinem Alter ein Auto kauft, dann fragt keiner: 'Was für Geschäfte machst du?'", erzählt Refik Tanrikulu. Er sitzt gemeinsam mit seinen Freunden am Rand eines Fußballfeldes. Jeder von ihnen kennt Diskriminierungen wie diese. Mal werden sie einfach nur Ali genannt, obwohl keiner von ihnen so heißt, mal machen sich die Kollegen über ihre Religion lustig oder ihr Äußeres wird kritisch beäugt.

"Den Bart habe ich nicht, weil ich eine politische Richtung verfolge, sondern eher, weil es hip ist, meine Frau mag den. Aber ich passe deswegen immer mehr in dieses Klischeebild und werde auch immer mehr so behandelt. Das ist aber sehr frustrierend, das hat mit Lebensqualität nichts mehr zu tun",  beschreibt Sezai Elmali den Generalverdacht, unter den er häufig gestellt wird. "Immer wird mir etwas unterstellt. Ich werde nicht so behandelt, wie ich bin, sondern wie die Leute mich vermuten."

Leben mit dem Klischee

Sie alle sind in Deutschland groß geworden, haben hier ihren Lebensmittelpunkt, doch täglich wird ihnen gespiegelt, dass sie nicht ganz dazugehören. Zeynep Kale ist Anwältin. Die Türkei kennt sie nur durch Urlaubsreisen. Trotzdem wird sie immer wieder auf ihre Herkunft reduziert. "Wenn ich im Rahmen meiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit irgendetwas gesagt, gemacht oder geschrieben habe und hinterher die Aussage kommt: 'Oh, Sie sprechen aber sehr gut deutsch'. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich habe hier Jura studiert und beide Examina bestanden. Da fragt man sich schon, woher kommt jetzt diese Aussage?“

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Bürger zweiter Klasse?

Eine aktuelle Erhebung im Auftrag der Uni Münster betätigt, dass sich viele Deutsch-Türken nach wie vor ausgegrenzt fühlen. Mehr als 50 Prozent der 1.200 Befragten gaben offenbar an, dass sie sich wegen ihrer Herkunft als Bürger zweiter Klasse fühlen. 83 Prozent würden dem Satz zustimmen, dass es sie wütend mache, wenn nach einem Terroranschlag als Erstes die Muslime in Verdacht stünden.

Für eine erfolgreiche Integration ist offenbar nicht nur relevant, die strukturelle Ebene im Blick zu haben, also Bildungssystem und Arbeitsmarkt zu betrachten, sondern mindestens genauso wichtig ist es, sich gegenseitig wahrzunehmen und anzuerkennen. Refik Tanrikulu bringt es am Ende der Diskussion so auf den Punkt: "Integration ist keine Einbahnstraße. Wenn ich mich mit jemandem anfreunden will, muss ich mich für sein Leben interessieren und er sich für meins. Wenn ich mich nur für sein Leben interessiere, werden wir niemals Freunde."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 14.03.2017 | 21:15 Uhr