Fereshta Ludin © picture alliance/dpa Foto: Marijan Murat
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AUDIO: Vor 25 Jahren: Kopftuchstreit in Deutschland beginnt (4 Min)

Vor 25 Jahren: Kopftuchstreit in Deutschland beginnt

Stand: 14.07.2023 06:00 Uhr

Am 13. Juli 1998 wurde der Lehrerin Fereshta Ludin der Eintritt in den Schuldienst verweigert, weil sie darauf bestand, im Dienst ein Kopftuch zu tragen. Sie klagte gegen diese Entscheidung und stieß damit eine Debatte an, die bis heute andauert.

von Birgit Sagemann

Englisch, Deutsch und Gemeinschaftskunde, das sind ihre Fächer. Das Referendariat hat Fereshta Ludin mit der Note 1,3 beendet. Aber ihre Einstellung als Beamtin auf Probe lehnt das Land Baden-Württemberg anschließend ab. Begründung der damaligen Kultusministerin Annette Schavan: "Das Kopftuch als ein auch politisches Symbol ist Teil einer Unterdrückungsgeschichte der Frau - kann für eine Auslegung des Islam im Sinne des politischen Islamismus stehen, die mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht vereinbar ist."

Fereshta Ludin: Symbolfigur im Streit ums Kopftuch

Fereshta Ludin ist die Tochter eines afghanischen Diplomaten, aufgewachsen in Saudi-Arabien und Deutschland. Seit 1995 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft, und sie ist Muslimin. Das Kopftuch sei Teil ihrer religiösen Überzeugung, sagt sie: "Ich fühle mich sehr oft missverstanden, und ich habe das Gefühl, dass mit dem Kopftuch immer ein Konflikt verbunden wird. Das ist nicht meine Absicht."

Aber zumindest im Unterricht auf das Kopftuch zu verzichten, kommt für Sie auch nicht in Frage. Fereshta Ludin zieht vor Gericht und wird zur Symbolfigur im bundesweiten Streit ums Kopftuch. Nur ein Stück Stoff oder mehr ein religiöses oder auch ein politisches Symbol? Die baden-württembergische Kultusministerin sagt: "Das Tragen des Kopftuches gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. Das Kopftuch wird vielmehr in der innerislamischen Diskussion, auch als Symbol für kulturelle Abgrenzung, als ein poetisches Symbol gewertet."

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Kopftuch auch unter gläubigen Muslim*innen umstritten

Muslimische Interessensvertretungen dagegen berufen sich auf die Religionsfreiheit und Asiye Köhler vom Zentralrat der Muslime in Deutschland setzt das Kopftuchverbot mit einem Berufsverbot für muslimische Frauen gleich: "Das ist wirklich katastrophal für uns. Man sollte auch anders Aussehende einstellen, damit die Schule toleranter bleibt. Toleranz ist sonst eine Worthülse."

Aber auch unter gläubigen Muslimen ist das Kopftuch umstritten. An der Schule habe es jedenfalls nichts zu suchen, findet ein türkischer Elternvertreter: "Ob eine Lehrerin in ihrem Privatleben ein Kopftuch trägt oder nicht, ist ganz allein ihre Sache. Es wäre aber nicht richtig, wenn sie ein religiöses Symbol trägt, während sie gleichzeitig Kinder unterrichtet."

Alice Schwarzer: "Muslimische Mädchen werden die ersten Opfer sein"

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sieht es genauso und warnt vor falsch verstandener Toleranz. Wenn Fereshta Ludin mit ihrer Klage vor Gericht Erfolg hätte, wären muslimische Mädchen die Leidtragenden sagt sie: "Die werden die ersten Opfer eines solchen toleranten Urteils sein. Man wird verstärkt die kleinen Mädchen zum Kopftuch zwingen können in diesem Geiste."

Genau das befürchten auch muslimische Schülerinnen einer Stuttgarter Schule, die kein Kopftuch tragen: "Wenn es vom Elternhaus gewünscht ist, dass man einen Kopftuch trägt, und dann auch noch die Lehrerin ein Kopftuch trägt, dann wird der Druck auf die Mädchen, dass sie auch ein Kopftuch tragen, extrem."

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Bundesverfassungsgericht hebt andere Urteile auf

Vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim und dem Bundesverwaltungsgericht scheitert Fereshta Ludin mit ihrer Klage. Beide Gerichte betonen die Neutralitätspflicht des Staates und seiner Beamten. "Ja, ich bin sehr bestürzt und sehr traurig über die Entscheidung. Ich habe es mir natürlich anders erhofft", sagt Ludin und zieht vor das Bundesverfassungsgericht. Das hebt 2003 tatsächlich die anderen Urteile auf. 2015 dann ein neues Urteil aus Karlsruhe: Ein pauschales Kopftuchverbot an staatlichen Schulen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Fereshta Ludin lebt seit 1999 in Berlin und unterrichtet an einer Privatschule mit Kopftuch. 25 Jahre ist es her, dass ihr in Baden-Württemberg die Übernahme in den staatlichen Schuldienst verweigert wurde.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 14.07.2023 | 15:20 Uhr

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