Vollverschleiert im Unterricht?
Ob Niqab oder Burka - die Vollverschleierung von Schülerinnen im Klassenzimmer ist umstritten. Doch wie geht man am besten damit um? In Niedersachsen wird voraussichtlich im August das sogenannte Burka-Verbot an Schulen in Kraft treten. Alle vier Fraktionen entschieden sich nach einer Beratung des Kultusausschusses im Niedersächsischen Landtag dafür, das Schulgesetz entsprechend zu ändern. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung, meint Silvia Horsch.
Ein Kommentar von Silvia Horsch
Würden mich ein muslimisches Mädchen oder ihre Eltern nach meiner Meinung zum Gesichtsschleier fragen, ich würde ihnen davon abraten. Die Verschleierung des Gesichtes gilt in unserer Gesellschaft als Symbol der Frauenunterdrückung und wird als bedrohlich wahrgenommen; einer vollverschleierten Frau bleiben viele Möglichkeiten verschlossen.
Reine Symbolpolitik
Ein Verbot des Gesichtsschleiers in Schulen halte ich dennoch für falsch. Ausgelöst wurde diese Debatte in Niedersachsen im Jahr 2016 durch zwei Fälle. Die Landesschulbehörde bestätigte drei weitere Fälle: Das macht fünf vollverschleierte Schülerinnen in ganz Niedersachsen, die mittlerweile aber entweder den Gesichtsschleier abgelegt haben oder nicht mehr zur Schule gehen. Wenn für solche Einzelfälle in einem Wahljahr ein Gesetz geschaffen werden soll, ist eines überdeutlich: Es handelt sich um reine Symbolpolitik. Symbolpolitik, die mittlerweile von allen Parteien mitgetragen wird. Es ist sehr beunruhigend zu sehen, wie es der AfD mit ihren islamfeindlichen Positionen gelingt, die etablierten Parteien vor sich herzutreiben.
Es ist ein Gesetz ohne Sinn. Wird ein Mädchen von seinen Eltern zum Gesichtsschleier gezwungen, führt ein solches Verbot dazu, dass diese ihre Tochter zum frühestmöglichen Zeitpunkt von der Schule nehmen. Hat sich eine Jugendliche selbst für den Gesichtsschleier entschieden, werden die Möglichkeiten, pädagogisch auf sie einzuwirken, von vorneherein unterbunden. Das Verbot wird sie zudem an dem Freiheitsversprechen unserer Gesellschaft zweifeln lassen: Sie hat in der Schule ja gelernt, dass Jugendliche in Deutschland ab 14 Jahren uneingeschränkt religionsmündig sind und selbst entscheiden können, ob und wie sie ihre Religion praktizieren. Sie wird sich fragen: Warum gilt dieses Recht nicht für mich?
Religionsfreiheit Ade
Das Tragen eines Gesichtsschleiers wird nur von einer Minderheit der muslimischen Gelehrten als verpflichtend angesehen. Aber auch religiöse Minderheitenmeinungen fallen unter den Schutz der Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Diesen Schutz einzuschränken, ist ein fatales Signal. Kräfte wie die rechtspopulistische AfD, die die Religionsfreiheit noch viel weitergehender begrenzen wollen, werden dieses Gesetz als Etappensieg verbuchen. Betroffen sein werden von einem solchen Gesetz nicht nur vollverschleierte Frauen. Es wird vielmehr islamfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft weiter stärken.
Übrigens hat der Fall der 16-jährigen Schülerin in Belm bei Osnabrück gezeigt, dass ein Gesichtsschleier nicht automatisch unlösbare Probleme mit sich bringt: Der Schulfriede war nach Auskunft aller Beteiligten nicht gestört und die Schülerin beteiligte sich am Unterricht. Die Politik sollte den Schulen zutrauen, mit solchen Dingen konstruktiv umzugehen und nicht das Wohl von Jugendlichen im Mund führen, um in trüben Gewässern nach Stimmen zu fischen.