Schweigende Mehrheit
Die muslimische Community und der Loyalitätsanspruch
Was denkt die sogenannte "schweigende Mehrheit"? Das möchten viele gerne wissen. Auch wenn es um Muslime in Deutschland geht. Gerade angesichts der Konflikte in der Türkei. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die türkischstämmigen Bürger aufgefordert, loyal zu Deutschland zu stehen. Das hat für einigen Wirbel gesorgt. Nicht nur unter Politikern und in den Medien. Auch bei der "schweigenden Mehrheit" der Deutsch-Türken ist die Äußerung von Angela Merkel auf viel Unverständnis gestoßen.

Ein Kommentar von Canan Topçu
Ich bin eine Deutsch-Türkin, eine Muslimin und ich lebe schon lange hier. Somit zähle ich zu der Gruppe, von der die Bundeskanzlerin Loyalität einfordert. Deswegen gehöre ich zu den Deutsch-Türken, die sich über "Mutti" ärgern. Heute bin ich die Stimme der schweigenden Mehrheit, die mit Wut und Fassungslosigkeit auf den Appell von Angela Merkel reagiert.
Wie sollen wir uns verhalten?

"Was kommt wohl als nächstes?" Diese Frage stellen sich viele. Ich auch! Wir deutsch-türkischen Muslime sollen uns distanzieren, wenn Islamisten Attentate begehen, wir sollen permanent unter Beweis stellen, dass wir integrationswillig sind. Und nun also auch Deutschland gegenüber unsere Loyalität erweisen.
Wie aber macht man das anders, als wir es jetzt schon machen? Wie sollen wir uns verhalten? Die deutsche Fahne auf die Stirn tätowieren lassen? Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Eid auf die Verfassung ablegen?
Wir Deutsch-Türken, die wir uns als Teil dieser Gesellschaft sehen und als solche wahrgenommen werden möchten, sind permanent der Kritik ausgesetzt. Dabei leben wir einfach nur unser Leben, wir streiten und lieben uns, wir gehen unserer Arbeit nach, wir nehmen teil am sozialen und kulturellen Leben in diesem Land. Wir fallen nicht auf - werden aber immerzu mit angesprochen, wenn von den türkischstämmigen Muslimen die Rede ist.
Ja, es gibt die, die sich schwer tun mit dem Ankommen in diesem Land. Ja, es gibt die, die mit der türkischen Fahne auf Demonstrationen ihre Sympathie für den türkischen Staatspräsidenten bekunden.
Es gibt aber auch die anderen. Menschen wie mich, die sich bewusst für den deutschen Pass entschieden haben, die es sehr zu schätzen wissen, in diesem Land zu leben. Die sich mit dem Grundgesetz identifizieren und für die es eine Selbstverständlichkeit ist, sich daran zu halten.
Kein Verständnis für Erdogan-Sympathisanten
Wie viele andere gehöre ich aber auch zu den Deutsch-Türken, denen die Türkei nicht egal ist. Ich liebe mein Herkunftsland, mir geht das Herz auf, wenn ich an meine Kindheit, an bestimmte Orte und Menschen denke.
Trotzdem gehöre ich nicht zu denen, die Feuer und Flamme sind für Erdogan und Konsorten. Wie viele Deutsch-Türken bin ich auch fassungslos über die anderen Türkischstämmigen in Deutschland. Wir haben null Verständnis dafür, dass sie so begeistert sind von einem Politiker, der demokratische Regeln aushebelt und Andersdenkende einsperren lässt. Wir ärgern uns über diese Gruppe, die hier Meinungsfreiheit und vieles mehr genießt, sich aber mehr mit der türkischen Regierung als mit Deutschland identifiziert.
Meist ärgern wir uns im Stillen. Wir wissen nicht mehr, wie und warum wir unsere Loyalität zu Deutschland unter Beweis stellen sollen. Viele sind gefrustet, enttäuscht und ziehen sich ins Private zurück. Und das ist nicht gut für eine Demokratie.
