Ramadan: Zeit der Selbstreflexion
Der Ramadan ist für viele Muslime die wichtigste Zeit im Jahr. Einen Monat lang dürfen sie tagsüber nicht essen und trinken. Wichtiger jedoch noch als das Fasten: sich auf das Wesentliche zu besinnen und sich als Mensch weiterzuentwickeln.
Ich schaue zurück in die Tage meiner Kindheit: Anfang der 1980er-Jahre, eine Zechensiedlung im Ruhrgebiet, ich ein selbstbewusster Grundschüler und meine Eltern verboten mir das Fasten. Ich wollte aber erwachsen sein! Das, was meine Eltern und die etwas älteren Freunde in der Siedlung konnten, konnte ich auch. Und doch fiel es mir schwer: Die Tage waren lang, die Nächte kurz. Trotzdem: Einige wenige Tage konnte ich ohne das Wissen meiner Eltern fasten. Abends gingen wir am Wochenende manchmal in die Moschee zum Tarawih-Gebet, tagsüber spielten wir fast täglich nach der Schule wie verrückt unter der brennenden Sonne Fußball. Zeitgleich war WM in Mexiko, Argentinien wurde Weltmeister. Das Endspiel gegen Deutschland werde ich nie vergessen. Wunderschöne Erinnerungen, die ich mir möglicherweise auch nachträglich schönrede? Ich weiß es nicht, meine Erinnerung daran ist jedenfalls wunderschön, und das Wissen darüber ist in diesem Moment für mich definitiv und konkret. An das Hungern erinnere ich mich nicht, aber häufig stand ich kurz vor dem Verdursten nach dem Kicken. Es waren, wie gesagt, heiße Sommertage. Die Häme meines damaligen - auf neudeutsch: islamkritischen - Türkischlehrers, doch auf die Toilette zu gehen und dort zu essen, Allah sehe mich dort ja nicht, stärkte eher noch meinen Willen, durchzuhalten.
Das Ziel: ein besserer Mensch werden

Seit fast 30 Jahren faste ich - mit Ausnahme von Krankheiten - nun durchgehend jedes Jahr ohne Unterbrechungen. Es ist eine gute Zeit, um loszulassen vom Trubel und den alltäglichen unnützen Kleinigkeiten unseres ritualisierten und konsumorientierten Lebens. Um ehrlich zu sein, ist es aber auch sehr anstrengend und hart. Vor allem die ersten zwei bis drei Tage fallen mir recht schwer, danach gewöhnt sich der Körper schnell an diesen neuen Rhythmus. Jedes Jahr nehme ich mir vor, abends weniger zu essen, mehr aus dem Koran zu lesen, zu rezitieren, zu verstehen und zu leben, um ein besserer, humanerer, gottgefälliger Mensch zu werden. Ich will mehr beten, meinem Schöpfer näherkommen, mehr spenden, mehr Gutes tun, an die Bedürftigen und Hungernden dieser Welt denken, mich in sie hineinfühlen, ihnen helfen.
Eine Zeit für Selbstreflexion und Einkehr
An all das zu denken und in meine feste Absicht aufzunehmen, fällt mir nicht leicht. Ich kenne mich und weiß, dass die konsequente Einhaltung mir selten vollständig gelingt. Unser aller Schöpfer hat uns schwach erschaffen, dessen bin ich mir bewusst. Ich glaube, dass diese inneren Konflikte, das Bemühen um Besserung, das tägliche Ringen mit dem inneren Schweinehund zum Leben eines jeden Menschen dazu gehören, ja sogar dazu gehören müssen, wenn man sich zum Guten entwickeln will. Für diesen kommenden Ramadan verspreche ich mir selbst, mehr Umsicht für meine Nächsten, mehr Einsicht für meine Schwächen und mehr Zeit für meine Kinder einzuplanen. In meinem Fall ist das noch nicht mal egoistisch. Mir fällt es schwer, offizielle, berufliche und eben auch private Einladungen auszuschlagen. Denn wer möchte schon als arrogant und selbstgefällig gelten? Und ja, der Ramadan ist eine Zeit für die Gemeinschaft, und auch die Familie - aber eben vor allem der Monat für Selbstreflexion und Einkehr.
