Radikalisierung vorbeugen
Bereits mehr als 900 junge Deutsche sollen sich, laut Verfassungsschutz, als IS-Kämpfer nach Syrien und in den Irak abgesetzt haben. Wenn wieder ein Fall bekannt wird, heißt es immer: Wieso hat keiner etwas davon mitbekommen? Genau da knüpft das Präventionsprojekt "Al Wasat", auf Deutsch "Die Mitte", in Hamburg an. Das Ziel: Zugang zu Jugendlichen zu finden, bevor sie in die gewaltbereite islamistische Szene abdriften.
Muslimische Jugendliche in Deutschland haben Fragen: Zu ihrer Religion, zu ihrem Leben. Der Imam Mounib Doukali weiß genau, was die Jugendlichen in seiner Gemeinde "El-Iman" in Hamburg beschäftigt: "Themen, die sie täglich in den Medien hören. Was bedeutet Salafist, was bedeutet Dschihad, sind die IS-Kämpfer wirklich Dschihadisten? Wie gehe ich mit meinen nicht-muslimischen Freunden in der Schule um? Das sind ja Themen, die die Jugendlichen täglich in der Schule besprechen."
Viele Jugendliche wissen nicht, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden sollen. Lehrer oder Eltern können diese oft nicht beantworten. Darum suchen viele auf YouTube oder anderen sozialen Netzwerken nach Orientierung. Dort geraten sie auch an radikale Gruppen, die schon lange das Internet zur Anwerbung junger Menschen nutzen. Imam Doukali will dies verhindern. Und er ist nicht alleine. Er arbeitet eng mit dem Projekt "Al Wasat - Die Mitte" im Hamburger Stadtteil Harburg zusammen.
Seminare und Workshops zur Präventionsarbeit
Der Islamwissenschaftler Ali Özdil leitet das Projekt: "Wir wollen explizit Menschen für Präventionsarbeit qualifizieren, die Kontakt haben zu muslimischen Jugendlichen." Lehrer, Sozialarbeiter, Polizisten und Imame machen mit. Für sie bietet "Al Wasat" Seminare und Workshops an.
Ali Özdil berichtet: "Wir wissen, dass die Imame eine theologische Grundlage haben auf Grund ihrer Ausbildung. Allerdings haben sie nicht unbedingt das pädagogische Handwerkszeug, sich mit Problemen der Jugendlichen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, wenn Jugendliche ideologisiert sind. Dass sie wissen, wie passiert das überhaupt. Was sind die Interessen von Jugendlichen und entsprechen meine Predigten wirklich auch den Themen, die Jugendliche interessieren heutzutage?"
"Al Wasat", eines der wenigen Präventionsprojekte unter muslimischer Trägerschaft, bietet auch Beratungen für Jugendliche und Eltern an. Doch wie können Eltern überhaupt erkennen, dass ihre Kinder radikale Tendenzen entwickeln?
Stigmatisierung verbaut den Zugang
"Dass ein Jugendlicher zum Beispiel sagt, ich bin für einen islamischen Staat, heißt noch gar nicht, dass er radikal sein muss.", erklärt Özdil, "Man muss ihn fragen, was er sich darunter vorstellt. Dann hören wir heraus, sie stellen sich darunter einen Staat vor, wo Religionsfreiheit herrscht. Man muss also immer nachfragen, bevor man alleine bei Begriffen wie Islamischer Staat gleich aufschreckt und denkt "Oh Gott, das ist ein radikalisierter Jugendlicher."
Das Projekt wird von dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" und der Hansestadt Hamburg finanziert. Ali Özdil und seine Mitarbeiter sollen in fünf Jahren eine Art Handbuch entwickeln. Sie sollen herausfinden, wie man Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen verhindern kann: "Wir raten, mit den Jugendlichen Gespräche zu führen und sie ernst zu nehmen. Und die Jugendlichen nicht gleich als Islamisten, Salafisten zu stigmatisieren. Wenn man das tut, hat man dann keinen Zugang mehr zu ihnen."
Das Gute in der Gesellschaft
Dabei ist es "Al Wasat" wichtig, den jungen Menschen auch theologisch zu erklären, wie der Islam sich ein gesellschaftliches Zusammenleben vorstellt: "Ein wichtiges Prinzip im Islam ist, das lehren wir auch in unseren Seminaren, das Allgemeinwohl zu fördern. Was ist eigentlich das Gute für die Gesellschaft? Jugendliche brauchen positive Vorbilder, die ihnen dabei helfen, auch in Krisenzeiten diesen Prinzipien treu zu bleiben, ohne dass sie zu Außenseitern der Gesellschaft werden. Wir müssen Ihnen im Grunde Hilfsmittel an die Hand geben, wie Sie sich vor Unrecht, dass ja in jeder Gesellschaft stattfindet, besser schützen können. Dass sie lernen, damit besser umzugehen."
Denn nicht nur radikale Prediger sind das Problem, sondern auch islamfeindliches Verhalten in unserer Gesellschaft. Wenn junge Menschen, die sich für ihre Religion interessieren und religiös leben wollen, vorschnell als Islamisten abgestempelt werden, trägt das zum Problem bei. "Extremismus ist ein gesellschaftliches Problem, und das ist eine Herausforderung an uns alle. Die Arbeit kann nur funktionieren, wenn wir zusammen kooperieren. Wenn die Eltern nicht wissen, wo ihre Jugendlichen rumhängen, zu welcher Moschee sie gehen, wenn der Lehrer nicht weiß, was der Imam in der Nähe predigt, dann funktioniert die Arbeit nicht. Wir können nur vorankommen, wenn wir Projekte zusammen erstellen, damit die Gesellschaft auch gut funktioniert.", sagt Mounib Doukali.
