Ein junger Mann und eine junge Frau hinter einem Stand  in der Uni lächeln in die Kamera. © NDR Foto: Hans Stallmach
Ein junger Mann und eine junge Frau hinter einem Stand  in der Uni lächeln in die Kamera. © NDR Foto: Hans Stallmach
Ein junger Mann und eine junge Frau hinter einem Stand  in der Uni lächeln in die Kamera. © NDR Foto: Hans Stallmach
AUDIO: Muslimische Hochschulgemeinschaft Hildesheim (5 Min)

Muslimische Hochschulgemeinschaft: Beten gegen Stress in Hildesheim

Stand: 10.11.2023 13:00 Uhr

An immer mehr Universitäten schließen sich muslimische Studierende zusammen, wie in der "Muslimischen Hochschulgemeinschaft Hildesheim". Die junge Gruppe - gegründet 2021 - sucht den interreligiösen Dialog.

von Hans Stallmach

Es herrscht Trubel  zum Semesterbeginn im Foyer der Universität Hildesheim. An zahlreichen Ständen präsentieren sich die Hochschulgruppen den Erstsemestern - mittendrin der Stand der "Muslimischen Hochschulgemeinschaft Hildesheim": zwei Tische mit Büchern, Getränken und Süßigkeiten, dahinter eine Studentin und ein Student.

"Jeder ist willkommen"

"Der Tag war gut - sehr erfolgreich. Wir haben viele Leute kennengelernt, viel geredet und haben die Erstis begrüßt. Wir haben ein paar Dinge erklärt: wo sich die Räumlichkeiten befinden, z.B. der 'Raum der Stille', haben gesagt, welche Veranstaltungen wir machen - war alles ganz gut", erklärt Bilal Torun, 23 Jahre alt, Student der Sozial- und Organisationspädagogik und Vorsitzender der Muslimischen Hochschulgemeinschaft.

Neben ihm steht Suha Ouni, 24 Jahre alt, Lehramtsstudentin in den Fächern Deutsch und Geographie: "Es kamen tatsächlich viele - mehr als ich gedacht hätte." Es habe Nachfragen gegeben zum Gebetsraum und zum Fastenbrechen, erzählt die Studentin. "Bei mir waren tatsächlich viele, die nicht muslimisch waren, und die haben dann gefragt, ob sie trotzdem in die Gruppe dürfen, und ich meinte: 'Ja, jeder ist willkommen bei uns.'"

Offenheit gegenüber anderen Religionen

Auch Bilal Torun betont die Offenheit gegenüber allen religiösen Gruppen. So sei die allererste Veranstaltung der Muslimischen Hochschulgemeinschaft im Mai 2021 ein Dialog mit der katholischen und evangelischen Hochschulgemeinde gewesen. "Seitdem machen wir diese Dialogabende einmal im Semester." Er wolle ein Signal setzen, sagt der Student. "Wir sind Teil dieser Gesellschaft und wollen fest Teil dieser Gesellschaft sein. Wir haben Kooperationspartner jeder Religion. Wir kooperieren mit den christlichen Gemeinden hier regional und auch mit den jüdischen Gemeinden. Mit ihnen suchen wir den Dialog und dabei helfen wir, den Islam besser zu verstehen."

So viel interreligiöse Offenheit gefällt nicht jedem in Hildesheim: gleich nach der Gründung geriet die Gruppe in einen Disput mit salafistisch orientierten Studierenden über das Profil der Gemeinde. Die Hochschulgemeinschaft habe sich dann sehr bald von ihnen getrennt. "Der Konflikt, der dann aufgekommen ist, hat ein paar Leute demotiviert, mitzumachen. Es war sehr schwer, und da haben wir leider ein paar Mitglieder verloren." Heute zählt die Gruppe wieder rund 50 aktive Mitglieder, übrigens mehrheitlich junge Frauen.

Aufbau einer Community

Wie in Hildesheim, so gibt es auch an zahlreichen anderen Hochschulen inzwischen ähnliche Gruppen, teils konservativer, teils liberaler ausgerichtet. Manche stehen in Konkurrenz zueinander, erklärt der Islamwissenschaftler Junus el-Naggar: "Manche haben einen sprachlich-kulturellen andere einen religiös-theologischen Schwerpunkt. Ich halte es aber für wichtig, sie nicht in Schubladen zu stecken. Wenn sie von außen übergenau unter die Lupe genommen, in problemhafte Kontexte gestellt oder bewertet werden, ist das nicht nützlich. Ihre zentrale Aufgabe sehe ich im Aufbau einer Community, im Schaffen von Gelegenheiten für Freundschaften." Es seien auch schon etliche Partnerschaften in den Gruppen entstanden, erklärt der Wissenschaftler. Dort sei das einfacher, denn junge gebildete Muslime, die ihre Religion praktizierten, gingen meist nicht in Diskotheken.

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Auch in Hildesheim spielt die Gemeinschaft eine zentrale Rolle. Wichtig ist die gemeinsame Whatsapp-Gruppe, über die die Aktivitäten koordiniert werden. Es gibt Treffen an der Universität, selbstorganisierte Events sowie Exkursionen. Außerdem hilft die Gruppe, wenn muslimische Studierende Diskriminierung erleben. Fast familiär gehe es zu, meint Suha Ouni. Wichtig sei ihr aber nicht nur das Zusammensein, sondern auch die religiösen Praxis, gerade im stressigen Uni-Alltag.

Gebete gegen Prüfungsstress

Ein junger Mann und eine junge Frau laufen durch einem Raum in der Uni. © NDR Foto: Hans Stallmach
Suha Ouni und Bilal Torun nutzen den "Raum der Stille" gern, wenn ihnen der Alltag zu stressig wird.

"Wenn ich kurz vor einer Klausur stehe, wo ich total das Zittern habe, finde ich zu meinem Glauben zurück. Das war auch neulich der Fall, bei meiner Nachprüfung." Sie habe gebetet, wie immer fünf Mal am Tag, und dabei habe sie dann sogenannte Duas ausgesprochen. "Duas sind Bittgebete, da bittet man Allah um etwas. Das ist überall möglich. Sie helfen einem und geben einem Kraft, dass man das überstehen kann."

An der Universität Hildesheim bietet sich dafür der "Raum der Stille" an, der Mitgliedern aller Religionen und Weltanschauungen offen steht. Der helle, fast leere Raum abseits des hektischen Uni-Alltags wird von der Muslimischen Hochschulgemeinschaft oft genutzt. Torun mag es, dass alles in Blau gehalten ist. "Der Raum soll beruhigen. Man muss hier nicht beten. Man kann auch herkommen und dem Uni-Alltag entfliehen. Zu den Gebetszeiten sind hier oft Muslime anzutreffen, nicht hauptsächlich, aber viele Muslime nehmen das gerne in Anspruch."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 10.11.2023 | 15:20 Uhr

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