Lasst doch die Moschee im Kiez!
Umstritten war sie von Anfang an - die liberale Ibn Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Vor einer Woche wurde sie unter großem Medieninteresse eröffnet. Eine Imamin und ein Imam leiteten gemeinsam das Freitagsgebet. Für viele Muslime war das eine Provokation. Schon bald kursierten Hasskommentare in den sozialen Medien, es gab Kritik von der obersten ägyptischen Fatwa-Behörde und auch die türkische Religionsbehörde Diyanet verurteilte die neue Moschee scharf.
Ein Kommentar von Canan Topçu
Das darf doch nicht wahr sein, habe ich gedacht, als ich mitbekam, dass die ägyptische Fatwa-Behörde Dar al-Ifta erklärt hatte, es verstoße gegen die Glaubenspflichten, wenn Frauen kein Kopftuch in der Moschee tragen würden. Besonders verwerflich sei es, wenn Frauen und Männer gemeinsam beteten. Denn der Islam verbiete Körperkontakt zwischen Männern und Frauen während des Gebetes.
Die kleine Moscheegemeinde von Seyran Ateş scheint offensichtlich ernst genommen zu werden; anders kann ich mir die Stellungnahme der Rechtsabteilung der Al-Azhar-Universität nicht erklären. Dass sich auch die türkische Religionsbehörde Diayanet zu Wort gemeldet hat, ist wiederum der beste Beweis dafür, dass sich diese theologische Instanz vor den Karren des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan spannen lässt. Und sich einmischt in die Angelegenheiten der Muslime hierzulande. Die Moschee-Eröffnung nutzt Diyanet einmal mehr, gegen die umstrittene Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zu hetzen.
Überzogene Kritik - auch aus Deutschland
Die als Frauenrechtlerin bekannte Seyran Ateş ist zur Zielscheibe von vielen geworden, weil sie eine sogenannte liberale Moschee eröffnet hat. Mehr als die Statements aus Kairo und Ankara erschrecken mich die heftigen Reaktionen von Muslimen in Deutschland. Auch von Muslimen, die bei jeder Gelegenheit nicht müde werden zu erklären, dass der Islam friedlich sei. Dass Ateş mit so viel Hass und Häme überschüttet wird, ist unverhältnismäßig. Diese Reaktion hängt zum einen mit ihrer Islam-Interpretation zusammen, zum anderen aber auch damit, dass sie selbst immer die aus ihrer Sicht konservativen Muslime verspottet hat. Verständlich also der Ärger ihrer Kritiker. Diese werfen ihr vor, sie präsentiere sich als gläubige Muslimin und mache nun mit ihrer liberalen Interpretation des Islam nicht nur in den Medien Furore.
Für mehr Vielfalt im Islam
Man muss Seyran Ateş und ihre Ansichten über den liberalen, beziehungsweise reformierten Islam nicht mögen - außerdem sind Kritik und ziviler Protest in einer Demokratie legitim! Nicht nachvollziehbar aber ist, warum hierzulande der Islam nicht auch anders als in der von orthodoxen und konservativen Instanzen vorgegebenen Weise praktiziert werden soll. Auch wenn konservative Muslime die Deutungshoheit für sich beanspruchen - es gibt bekanntlich nicht "den" Islam. Die Glaubenspraxis in den unterschiedlichen Teilen der Welt zeigt doch, wie vielfältig diese Religion gelebt wird. Dass konservative Muslime und Religionsbehörden so massiv auf Ateş und ihre kleine Gemeinde reagieren, sagt viel mehr über sie selbst aus. Nämlich, wie sehr sie verunsichert sind und wie sehr sie sich bedroht fühlen von einer anderen Auslegung ihrer Religion.
Diese Auseinandersetzung um Seyran Ateş und ihre Moscheegemeinde macht aber noch etwas anderes deutlich: Es gibt auch Stimmen hierzulande, die sagen, wir sind zwar damit nicht einverstanden, aber Vielfalt im Islam muss in diesem Land möglich sein. Recht haben sie!
Die Verfechter des liberalen Islam tun niemandem weh, von ihnen geht keine Gewalt aus. Daher: Lasst doch die Moschee im Kiez und andere ihren Glauben so praktizieren, wie sie es für richtig halten.
