Iranische Frauen versammeln sich während einer Demonstration © picture alliance / NurPhoto | Allison Bailey Foto: Allison Bailey
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AUDIO: Katajun Amirpur: "Iran ohne Islam" (5 Min)

"Iran ohne Islam": Der lange Weg der Iraner zur Freiheit

Stand: 21.07.2023 06:00 Uhr

Die iranische Bevölkerung lässt sich vom Regime nicht einschüchtern und wendet sich weiter vom Islam ab. Wieso, und wo das hinführt, analysiert die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in ihrem Buch "Iran ohne Islam".

von Bita Schafi-Neya

Unter dem Slogan "Frauen, Leben, Freiheit" treten die Protestierenden beispielweise für ihr Recht ein, sich zu kleiden, wie sie wollen. Bei den Protesten geht es aber nicht nur um die Missstände, die die Frauen betreffen, sondern auch um die Wurzeln der Unzufriedenheit mit der Islamischen Republik, wie Amirpur in ihrem Buch beschreibt. Sie beginnt mit einem persönlichen Erlebnis: 1991 besuchte sie nach langer Zeit wieder das Land Iran und war damals überrascht.

Cover "Iran ohne Islam" von Katajun Amirpur © C. H. Beck
"Iran ohne Islam" von Katajun Amirpur ist bei C.H. Beck erschienen und kostet 25 Euro.

Sie erlebte, "dass die Menschen im Alltag viel freier waren, als ich mir das vorgestellt hatte." Dass man, wenn man auf der Straße und etwa im Taxi mit völlig Unbekannten spreche, sich diese viel an Kritik erlaubten, so die Autorin. "Dass da wirklich Meinungspluralität herrscht, und dass sich das Regime keineswegs, und das war damals mein Vergleich, weil ich kurz davor in Syrien gewesen war, im Alltag nicht so durchsetzt. Die Menschen fühlen sich nicht permanent überwacht, wie das zu der Zeit in Syrien der Fall war. Damit hatte ich nicht gerechnet."

Menschen aller Schichten demonstrieren in Iran

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Bereits in den 1990er-Jahren gab es erste Reformversuche. Damals gingen sie noch von der intellektuellen Elite Irans aus. Jetzt demonstrieren Bürger aller Schichten, jeden Alters, ethnische und religiöse Minderheiten. Amirpur erklärt: "Dieses Schichten-übergreifende ist dadurch entstanden, dass sich mit dem Tod von Jina Mahsa Amini eine nochmal größere Wut und Frust Bahn gebrochen hat. Dass dieser Mord an Mahsa Amini etwas war, wo sich alle in Iran gesagt haben, 'das hätte wirklich jedem von uns passieren können. Das hätte meiner Mutter, meiner Schwester, meiner Tochter passieren können'." Das sei insofern etwas gewesen, wo alle andocken konnten, und wo sich auf einmal etwas wirklich Bevölkerungsübergreifendes entwickelt habe. "Das sehen wir jetzt seit September."

Teile der Bevölkerung wenden sich Zoroastrismus zu

Immer wieder gab es Proteste in Iran: 2009 die sogenannte grüne Bewegung, damals gegen eine mutmaßlich gefälschte Präsidentenwahl. 2017, 2018 und 2019 ging es um Korruption, iranische Beteiligung am Syrischen Krieg, plötzliche Preiserhöhungen.

In ihrem Buch macht Katajun Amirpur deutlich, wie sich die iranische Bevölkerung seit der islamischen Revolution 1979 nach und nach von ihrem Regime und eben auch von der Staatsreligion distanziert hat: "Im Zuge dessen konnte man feststellen, dass die Menschen sich immer mehr der Vorislamischen Religion Irans zuwenden, dem Zoroastrismus, zum Christentum konvertieren oder einfach Atheisten sind." Das sei der eine Strang, warum das Buch "Iran ohne Islam" heiße. "Der andere Strang war, dass in der islamischen Republik Iran Staatsgründer Ayatollah Khomeini das Land schon sehr lange vom Islam emanzipiert hat: Als er festgestellt hat, dass mit vielen Gesetzen des islamischen Rechts vor allem im Bereich Wirtschaft, zum Beispiel das Zinsverbot, dass sich damit kein moderner Staat machen lässt."

Buchcover: Katajun Amirpur: Khomeini - Der Revolutionär des Islam © C. H. Beck Verlag
AUDIO: Khomeini, der Revolutionär des Islams - Eine Buchvorstellung (5 Min)

"Sehr junge Generation lässt sich nichts mehr sagen"

Katajun Amirpur zeigt auf, dass trotz aller Rückschläge in den vielen Jahren der aktuelle Protest der Iranerinnen und Iraner jetzt endlich Erfolg haben könnte. Sie macht aber deutlich, dass dies ein langer Weg sein könnte: "Denn das ist eine sehr junge Generation, die sich nichts mehr sagen lässt. Das ist ganz anders, als die Generationen davor. Wenn die protestiert haben und eingeschüchtert wurden, gingen sie zurück und haben nicht mehr protestiert." Das sei bei diesen jungen Leuten anders.

"Die stellen sich vor die Revolutionsgarden hin sagen ihnen, 'wenn ihr uns nichts zum Leben gebt, dann nehmt uns das Leben doch ganz'. Das ist nicht irgendeine Form von Martyrium, sondern schlicht und ergreifend Perspektivlosigkeit, die die Jugend dieses Landes hat. Da Iran ein sehr junges Land ist, bin ich davon überzeugt, dass es irgendwann zum Erfolg führen wird."   

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 21.07.2023 | 15:20 Uhr

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