"Gott ist darüber erhaben, beleidigt zu werden"
Vor dreißig Jahren, am 14. Februar 1989, verurteilte das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Khomeini den Schriftsteller Salman Rushdie mit einer Fatwa zum Tode. Rushdies Buch "Die satanischen Verse“ sei "gegen den Islam, den Propheten und den Koran" gerichtet, hieß es. Die Fatwa gilt auch heute noch. Sie ist ein Beispiel für den Umgang mit Blasphemie in islamisch geprägten Ländern. Doch was sagen islamische Gelehrte und die heiligen Schriften des Islam dazu?
Ein Kommentar von Mouhanad Khorchide
Wer Gott oder den Propheten beschimpft oder verhöhnt, der begeht eine blasphemische Handlung - darüber herrscht unter den islamischen Gelehrten Einigkeit. Diese Schmähung gilt als eine der größten Sünden, die ein Mensch begehen kann. Man ist sich dabei einig, dass wer diese Sünde begeht, von der jeweiligen Behörde eines islamischen Landes zur Reue gerufen werden soll. Wenn die betroffene Person dennoch keine Einsicht und Reue zeigt, gelte sie als vom Islam abgefallen, sie wird zum Ungläubigen erklärt.
In der Sure 9, 65-66 heißt es über die Gotteslästerer: "Wenn du, Mohammed, sie fragst, so sagen sie bestimmt: 'Wir haben nur dahergeredet und uns lustig gemacht.' Sprich: 'Habt ihr euch etwa lustig gemacht über Gott und seine Zeichen und seinen Gesandten? Entschuldigt euch nicht! Ungläubig wurdet ihr, nachdem ihr gläubig wart!'"
Viele islamische Gelehrte sprechen sich gegen die Todesstrafe aus
Was aber die Strafe für Gotteslästerung sein soll, darüber sagt weder der Koran noch die prophetische Tradition, die Sunna, etwas aus. Von einer Todesstrafe steht dort nichts geschrieben. Immer wieder jedoch kommt es vor, dass konservative Geistliche sie dennoch fordern. Wenn jemand den Propheten Mohammed verunglimpft etwa oder für Salman Rushdie wegen seines Buches "Die Satanischen Verse".
Andere islamische Gelehrte sprechen sich unmissverständlich gegen die Todesstrafe oder sogar gegen jegliche Sanktion für Gotteslästerung aus. Ich schließe mich deren Argument an, dass Gott, aber auch der Prophet darüber erhaben sind, beleidigt zu werden. Jedem steht daher das Recht zu, seine Meinung zu äußern. Ein Muslim sollte Schmähungen, wie den Versuch, den Propheten durch Karikaturen lächerlich zu machen, einfach ignorieren oder wenn nötig sachlich und rational argumentieren. Emotionale Wutausbrüche oder Aufrufe zu Gewalt zeugen nur von Selbstunsicherheit und fehlender Rationalität. Nicht jede negative Äußerung darf sofort als Blasphemie verurteilt werden.
Die Grenze zwischen Blasphemie und Religionskritik ist schwer zu ziehen
Hochproblematisch ist auch, dass die Grenze zwischen Blasphemie und Religionskritik sehr dünn ist. Ab wann gilt eine Aussage als kritische Reflexion mancher womöglich überholter religiöser Positionen, und ab wann gilt diese als blasphemisch? Und wer entscheidet dies? In islamischen Ländern werden nicht selten kritische Äußerungen zu bestimmten Auslegungen des Korans oder der Sunna als blasphemisch verurteilt, und zwar mit der Konsequenz, dass die betroffenen Menschen nicht mehr in Sicherheit leben können. Meist sind solche Verurteilungen politisch und weniger rein theologisch begründet. Betroffen sind vor allem Islamreformer. Der sudanesische Gelehrte Mahmud Muhammad Taha wurde wegen seiner Koraninterpretation mit dem Vorwurf des Abfalls vom Islam konfrontiert; er wurde zum Tode verurteilt und 1985 hingerichtet.
Vorwurf der Blasphemie: auch ein Instrument der Unterdrückung
In Ägypten existiert heute ein Gesetz zum Verbot von "Schmähung von Religionen". Der im Jahre 2010 verstorbene ägyptische Koranforscher Nasr Hamid Abu Zaid wurde Mitte der Neunzigerjahre von seiner Frau zwangsgeschieden, weil er zum Apostaten, also zu einem vom Glauben Abgefallenen, erklärt wurde. Nur weil er dafür plädiert hatte, den Koran in seinem historischen Kontext zu lesen, ohne jedoch dessen göttlichen Ursprung zu leugnen. Und der bekannte ägyptische Reformer Islam al-Behery wurde 2015 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil er sich kritisch zu bestimmten Positionen innerhalb der klassischen Theologie geäußert hat.
Solche Fälle zeigen, dass der Vorwurf der Blasphemie auch zu einem Instrument der Unterdrückung jeglicher Reformbemühungen in den islamischen Ländern zu werden droht.