Stand: 09.08.2018 15:17 Uhr

Importiert? Antisemitismus unter Muslimen

von Jens Rosbach

Es geschieht immer wieder. Vor kurzem erst wurde bekannt, dass an einer Berliner Eliteschule ein jüdischer Schüler schwer gemobbt worden ist - unter anderem hatten ihn Mitschüler mit Auschwitz-Sprüchen attackiert. In der jüdischen Gemeinschaft wächst die Sorge vor einem neuen Antisemitismus. Einem Antisemitismus, der vor allem muslimisch geprägt sei und sich durch die Flüchtlinge verstärken könnte. Grund für Vertreter mehrerer Migranten-Initiativen, in Berlin zu diskutieren, was es mit dem "importierten Antisemitismus" auf sich hat.

Levi Salomon befürchtet das Schlimmste. Der Geschäftsführer des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus hat den Eindruck, dass viele Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak judenfeindliche Vorurteile mitbringen. "Die haben das mit der Muttermilch aufgesogen. Antisemitismus war dort Staatsdoktrin. Die Menschen kommen aus Ländern, in denen der Antisemitismus staatlich verordnet wurde!"

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Neben Salomon, der aus der Ex-Sowjetunion stammt, sitzt Qusay Amer aus Syrien. Der 26-jährige Student hat als Regimegegner im Gefängnis gesessen und ist 2014 nach Deutschland geflüchtet. Hierzulande, klagt Amer, werde er immer wieder verdächtigt, etwas gegen Juden zu haben. "Das finde ich natürlich schrecklich - es ist auch unangenehm. Weil ich manchmal das Gefühl habe, dass ich mich verteidigen muss."

Nur ein politisches Problem?

Der syrische Student berichtet, er habe in seiner Schulzeit zwar viel antiisraelische Propaganda hören und an antiisraelischen Demonstrationen teilnehmen müssen. Zugleich habe er aber im Unterricht gelernt, dass alle Religionen friedlich miteinander auskommen sollen. Qusay Amer erklärt, die Staatspropaganda habe nicht Antisemitismus verbreitet, sondern Israelfeindschaft: "Es ist ein politisches Problem, das gar nichts mit dem Islam und dem Judentum zu tun hat."

Jouanna Hassoun hat die beiden Kontrahenten für eine Podiumsdiskussion zusammengebracht. Die Muslimin ist Geschäftsführerin des Berliner Vereins Transaidency, der sich für eine interreligiöse Verständigung einsetzt. Anders als der syrische Student spricht Hassoun nicht nur von Israelfeindschaft unter alten und neuen Zugewanderten. "Ich habe kein Problem zu sagen, ja, unter Muslimen gibt es Antisemitismus", meint Hassoun. "Keiner von uns würde sagen, nein, den haben wir nicht. Wir haben auch unter Muslimen Antisemitismus."

Engagement von Muslimen bleibt weitgehend unbeachtet

Mit Transparenten gehen Teilnehmer des Kippa-Walks zur Demonstration von Solidarität mit jüdischen Bürgern durch Hannover. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen
Auch zahlreiche Muslime wollten ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und nahmen an den "Kippa-Walks" teil. Wie hier in Hannover.

Wir - das sind verschiedene Initiativen, die bereits seit Jahren Sozial- und Bildungsarbeit in der muslimischen Gemeinschaft machen. Zu den Aktivisten gehört auch Deniz Greschner vom Multikulturellen Forum in Nordrhein-Westfalen. Greschner bemängelt, dass ihr Engagement in der Mehrheitsgesellschaft weitgehend unbeachtet bleibt. "Was mir an der ganzen Debatte fehlt, ist einfach die Wertschätzung für die gute Arbeit, die es gibt. In Dortmund, in Berlin, auch von Muslimen", stellt Deniz Greschner fest. "Ich habe sehr viele Moscheegemeinden, mit denen ich arbeite, Jugendgruppen aus den Moscheegemeinden, die zu mir kommen und sagen: Wir wollen etwas zu Antisemitismus machen. Ich denke, das ist es, worüber wir viel stärker sprechen und das wir auch wertschätzen sollten."

Greschner, zugleich Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Dortmund, warnt davor, den Antisemitismus in Deutschland ausschließlich den Migranten zuzuschreiben – wie es die rechtspopulistische AfD tue: "Zugleich nutzt auch diese Partei den Vorwurf des Antisemitismus, um Muslime in diesem Land zu diskreditieren, um antimuslimischen Rassismus sozusagen zu prägen."

Die Debatte hat gerade erst begonnen

Auch wenn es bei der Expertenrunde unterschiedliche Meinungen gab über den "Import" antijüdischer Vorurteile, waren sich doch alle einig, dass Präventionsarbeit wichtig ist. Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in Berlin sieht vor allem die Schulen in der Pflicht. Die zumeist deutschstämmigen Lehrer dürften nicht von oben herab zu den muslimischen Schülern sprechen, auch nicht, wenn es um Judenfeindschaft ginge. "Wenn ich in meiner Sprache schon keinen wertschätzenden, anerkennenden Ton habe, dann nehme ich die allerwenigsten mit", sagt Hizarci. "Die blocken, die hören auf, zuzuhören, weil sie denken: Er vermittelt mir gerade, dass er von mir nichts hält. Er lehnt einen Teil meiner Kultur ab. Er verachtet das, woran ich glaube. Warum soll ich ihm etwas abkaufen bei einem anderen Problem?"

Die Fachleute bilanzieren, dass die Debatte über migrantischen Antisemitismus erst begonnen hat. Der Redebedarf sei groß, die Begegnungen sollten fortgesetzt werden, um Empfindlichkeiten und Ängste auf allen Seiten abzubauen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 29.06.2018 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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