Antisemitismus: "Viele bemerken ihre Hetze nicht mehr!"
So mancher hat es bis vor kurzem nicht für möglich gehalten. Antisemitismus ist in Deutschland weit verbreitet - nicht nur auf den Schulhöfen. Lamya Kaddor setzt vor allem auf mehr Aufklärung. Die Islamwissenschaftlerin und Lehrerin betreut ein Präventionsprogramm für muslimische Jugendliche. Denn sie weiß auch aus eigener Erfahrung: Antisemitismus unter jungen Muslimen ist kein Einzelfall.
Ein Kommentar von Lamya Kaddor
Da war nichts zu machen. Beide jungen muslimischen Männer weigerten sich, den Innenraum der Synagoge zu betreten. Erschreckend kompromisslos. Sie waren nicht jene Machos mit grimmiger Judenverachtung, die man klischeehaft vor Augen hat, wenn es um Antisemitismus geht, sie waren meine Studenten an einer deutschen Universität. Traten kultiviert und gebildet auf. Zwei junge Männer mit türkischem Migrationshintergrund, die sich gern über die Ausgrenzung und Herabsetzung ihrer Religion in Deutschland beklagen, und doch bei dieser Exkursion genau dasselbe taten.
Seit Monaten wird über diesen "neuen" Antisemitismus debattiert. Und das ist gut so, es generiert Aufmerksamkeit für ein drängendes Problem. Doch so neu ist dieser Antisemitismus, der mit Einwanderern ins Land gekommen ist, gar nicht: Im November 1941 empfing Adolf Hitler den Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini. Dem arabischen Nationalisten al-Husseini ging es vor allem darum, die britische Mandatsmacht und die rapide Zunahme der Zahl jüdischer Einwanderer zu bekämpfen, und da kam ihm das menschenverachtende deutsche Regime gerade recht.
Eine Ursache: der Nahost-Konflikt
Seitdem formt der Nahost-Konflikt das Narrativ von unterdrückten Muslimen und unterdrückenden Juden. Bedeutung gewann es mit der Islamisierung dieses Territorialstreits durch Terrorgruppen, die, wie die Hamas in den 80er-Jahren, den Antisemitismus aus Europa importierten und mit ihren Ideologien verbanden. Über Zuwanderer wurde diese Synthese re-importiert. Mit der jüngsten Ankunft von Flüchtlingen aus Syrien wird dieser Antisemitismus weiter genährt: Bis heute definiert sich das syrische Regime als Kriegspartei gegen Israel. Zur Staatsraison gehört das Nein zu Israels Existenz. Das wird Syrern bereits in den Schulen vermittelt.
Meine beiden Studenten in der Synagoge bestritten vehement, antisemitisch zu handeln. Gleiches tun die Rapper Kollegah und Farid Bang im jüngsten ECHO-Skandal. Sie reagieren mit Unverständnis auf den Vorwurf des Antisemitismus, obwohl sie eine Zeile texten wie "mein Körper definierter als von Auschwitzinsaßen". Gefährliche und saudumme Sprüche über das Leid von Opfern des schlimmsten Verbrechens der Menschheitsgeschichte - und keinerlei Einsicht. Hier zeigt sich eines der Probleme des Antisemitismus in Deutschland: Viele bemerken ihre Hetze nicht einmal mehr.
Imame und Rabbiner zusammen in Schulen?
Inzwischen gibt es erfreulicherweise neue Initiativen im Kampf dagegen. Der Zentralrat der Muslime bot an, Imame in Schulen zu schicken, um dort gemeinsam mit Rabbinern mit den Schülern zu reden. In Niedersachsen will man eine entsprechende thematische Einheit für den islamischen Religionsunterricht entwerfen.
Es ist gut, dass Schüler von religiösen Würdenträgern erfahren, dass Judenhass im Islam keine Basis haben kann. Doch das kann nur ein Teil der Präventionsarbeit sein, da der re-importierte Antisemitismus eben primär politisch und nicht islamisch motiviert ist. Er tritt vor allem bei arabisch- und türkischstämmigen Kindern und Jugendlichen auf, die auf Nachfrage mit dem Finger auf Israel zeigen - und sich im gleichen Atemzug darüber beklagen, selbst ausgegrenzt zu werden.
Gemeinsam Antisemitismus bekämpfen
Deshalb müssen wir bei all der notwendigen Diskussion über muslimischen Antisemitismus aufpassen, dass wir an den tatsächlichen Ursachen ansetzen. Es reicht weder aus, auf den Islam zu schauen noch allein auf den Nahost-Konflikt. Es muss grundlegend über den Antisemitismus als menschenverachtende Ideologie gesprochen werden. Es muss um den Mechanismus der Ausgrenzung und der Abwertung gehen, um Identitätssuche und Unterschiedlichkeit. Flankiert durch die Vermittlung von Fakten und Empathie. Und das geht nur zusammen mit jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
