Gehört Deutschland zum Islam?
Manchmal ist es spannend, die Blickrichtung zu ändern, zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, ob der Islam zu Deutschland gehört. Wie wäre es mit der umgekehrten Frage: Gehört Deutschland zum Islam? Für viele sicherlich ein provozierender Gedanke. Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Angst vor dem Islam. Umso wichtiger sei es, sich darauf einzulassen, sagt unsere Gastautorin Silvia Horsch, Wissenschaftlerin am Institut für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück. Also: Kann es einen deutschen Islam geben, so wie es einen türkischen oder bosnischen Islam gibt?
Ein Kommentar von Silvia Horsch
Die Antwort liegt nicht sofort auf der Hand. In Gesprächen unter Muslimen wird häufig von "den Deutschen" gesprochen, als ob man nicht zu ihnen gehöre. Das hat natürlich viel damit zu tun, dass Muslime im gesellschaftlichen Diskurs zu Fremden gemacht werden. Aber unabhängig davon - können wir hier als Muslime wirklich zu Hause sein, oder bleibt unsere Existenz in Deutschland eine fortwährende Diaspora?
Hier hilft ein Blick in die Geschichte: Muslimische Minderheiten gibt es schon seit Jahrhunderten, zum Beispiel in China, Russland, verschiedenen Ländern Afrikas, aber auch Europas. Überall haben sie einen einheimischen kulturellen Ausdruck des Islam entwickelt.
Religion und Kultur im Einklang
Kultur ist der Raum, in dem sich Religion erst entfalten kann. Das Verhältnis zwischen beiden kann als ein Fluss beschrieben werden: Das Wasser ist klar und farblos, das Flussbett hingegen ändert seine Beschaffenheit je nach Landschaft. Das Wasser steht für die Religion, das Flussbett für die Kultur. Deswegen sieht der Islam im Senegal afrikanisch aus, in China asiatisch und in Bosnien europäisch.
Die gelungene Verbindung von Religion und einheimischen Kulturen zeigt sich etwa in der Moscheenarchitektur: Die Gotteshäuser der islamischen Welt verbinden die religiöse Funktion mit einer Schönheit, die zur Umgebung und den kulturellen Kontexten passt. So ähneln die Moscheen in Peking chinesischen Tempeln, und die Minarette der tatarischen Holzmoscheen Polens könnte man für Kirchtürme halten, wäre dort nicht der Halbmond angebracht.
Ein vielfältigeres Bild der Gesellschaft
Dass auch in Deutschland die kulturelle Beheimatung des Islam begonnen hat, wird an Moscheebauten erkennbar, die Herkunft und Gegenwart verbinden. Die Moschee in Duisburg-Marxloh etwa: eine Kombination von osmanischer Moschee und modernem Geschäftsgebäude. Das schlanke Minarett ist nicht mehr nur ein anatolisches Element, sondern auch ein Zitat der Fabrikschlote aus dem Hintergrund.
Andernorts verbinden Moscheedächer mit Solaranlagen das deutsche Umweltbewusstsein mit der islamischen Sorge um die Schöpfung. Nicht nur beim Umweltschutz zeigt vor allem die junge Generation der Muslime, wie ein deutscher Islam aussehen kann: auch mit Projekten in den Bereichen Literatur, Musik, Comedy, Jugendarbeit, Seelsorge oder Frauenförderung.
Ein deutscher Islam bedeutet gerade nicht, dass Muslime und Musliminnen die türkischen, arabischen oder bosnischen Anteile ihrer Identität aufgeben müssen. Vielmehr gestalten sie das Bild der Gesellschaft mit und verändern "Deutschsein" dadurch - hin zu einem vielfältigeren Bild, das unterschiedliche Herkünfte und Religionen selbstverständlich einschließt.
Es ist die Aufgabe der besten Köpfe der muslimischen Gemeinschaft, die Verbindung des Islam mit unserem Ort und unserer Zeit konstruktiv zu gestalten. Denn unser Ort ist Deutschland.