Feindbilder überwinden - Die Muslim Jewish Conference
Nahost-Konflikt, islamistische Terroranschläge, antisemitische Übergriffe - der Graben zwischen Muslimen und Juden scheint heute tiefer denn je. Dabei verbindet beide Religionsgemeinschaften eine wechselvolle, aber auch eine gemeinsame Geschichte. Dass es auch anders geht, zeigt ein Dialogforum: die Muslim Jewish Conference. Seit Sonntag treffen sich in Berlin junge muslimische und jüdische Aktivisten aus der ganzen Welt. Sie wollen sich kennenlernen und miteinander diskutieren.
Noëmi Knoch ist mit Stereotypen aufgewachsen. Die Schweizer Jüdin, sie ist 22 und studiert Sprachwissenschaften, hat früher viel Negatives verbunden mit dem Wort "Muslim": "Terrorismus, Bart, Kopftuch - das sind Bilder, die man von überall her aufnimmt: aus den Medien, aus der Schule. Wenn man keinen Kontakt zu Muslimen hat, dann gibt es auch Ängste, weil wir etwas falsch verstanden haben von den Anderen."
Die Muslima Ajla Lubic, 37 und in Bosnien geboren, kennt wiederum typische Vorurteile ihrer Glaubensgemeinschaft über Juden: "Es gibt Vorurteile wie zum Beispiel: Alle Juden sind nur auf das Geld aus, alle Juden halten zusammen und wollen die muslimische Welt ruinieren. Das ist absoluter Blödsinn."
Nun diskutieren die Muslima und die Jüdin in Berlin, zusammen mit rund 100 jungen Erwachsenen, wie sich beide Religionen annähern können. Die Teilnehmer sind auf die eine oder andere Art Multiplikatoren. Sie kommen aus mehr als 40 verschiedenen Ländern: aus Europa, aber auch aus Pakistan, Libyen und Südafrika. "Eine Erfahrung, die wir teilen, ist das Leben als Minderheit im Allgemeinen", erklärt Noëmi Knoch. "Dass wir öfters auch als 'die Anderen' wahrgenommen werden, die etwas fremd sind, suspekt sind. Dass man nicht ganz nachvollziehen kann, warum das jetzt so ist. Und das ist auch verbindend."
Miteinander reden - nicht gegeneinander
Die Konferenz-Besucher debattieren über die Weltpolitik, vor allem aber erzählen sie von ihrem eigenen Leben. Ajla Lubic etwa, die IT-Projektmanagerin ist und inzwischen in Österreich lebt, hat den Bosnienkrieg hautnah miterleben müssen: "Ich war 15 Jahre alt, als wir nach Kroatien geflüchtet sind. Damals hat man uns 'Balia' beschimpft - das ist ein Schimpfwort für Muslime im ex-jugoslawischen Raum. Da habe ich erfahren, was es heißt, ausgegrenzt zu sein, was es heißt, aufgrund der Religion bedroht zu werden und als nicht dazu gehörend gesehen zu werden." Heute weiß die Migrantin: "Den Juden ist es damals auch nicht viel anders ergangen. Sie sind auch seit den 1930er-Jahren sehr stark diskriminiert und ausgeschlossen worden. Deswegen sollten wir uns zusammensetzen, was wir hier tun, und miteinander reden. Miteinander - und nicht gegeneinander."
Ilja Sichrovsky ist 33 Jahre alt und hat Entwicklungspolitik studiert. Der Wiener Jude rief vor sieben Jahren die erste Muslim Jewish Conference ins Leben. Sie war, ähnlich wie die folgenden Konferenzen, etwas chaotisch organisiert. Jedoch habe seine "Graswurzel"-Initiative in den vergangenen Jahren hinzugelernt, berichtet der Aktivist: "Wir haben uns zum Beispiel die ersten drei Jahre vom Nahostkonflikt ferngehalten. Einfach aus Sorge darüber, ob wir diese Diskussion leiten oder noch im Rahmen halten können, wenn sie losgeht. Wir haben mittlerweile ganz klassisch im Programm, dass über diesen Konflikt offen diskutiert wird."
Inzwischen hat sich das Dialogforum, das unter anderem in Kiew, Bratislava und Sarajevo tagte, etabliert. Es erhält heute Unterstützung vom Auswärtigen Amt und vom US State Department.
Den Skeptikern entgegenwirken

Doch innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaften stoßen die Konferenzteilnehmer immer noch auf Skepsis. So erntet die Schweizerin Noëmi Knoch mitunter sorgenvolle Blicke, wenn sie ihrer jüdischen Gemeinde von den Begegnungen mit Muslimen erzählt, denn die Angst hat nach den jüngsten Anschlägen zugenommen: "Es hat Anschläge gegeben, zwar nicht in der Schweiz selber, aber in Frankreich, in Deutschland, in Brüssel. Die Angst spielt eine viel größere Rolle als noch vor zwei, drei Jahren", stellt Noëmi Knoch fest.
Die Teilnehmer der Berliner Muslim Jewish Conference lassen sich davon nicht beirren. Sie vernetzen sich über Twitter und Facebook, wollen in Kontakt bleiben. Die Jüdin Noëmi Knoch hat nach ihrer letzten Konferenz vor drei Jahren sogar bei einer Muslima zu Hause gewohnt: "Ich war in Jerusalem zu einem Sprachkurs und wurde dort von einer muslimischen Beduinin zum Fastenbrechen eingeladen", berichtet sie. "Ich war zwei Tage bei ihrer Familie. Das hat sich durch den MJC ergeben. Anders hätten wir uns nicht kennen gelernt."
