Eine Schülerin schaut in ein islamisches Religionsbuch. © picture alliance/dpa Foto: Oliver Berg

Die Bedeutung Islamischen Religionsunterrichts in Krisenzeiten

Stand: 05.11.2021 06:00 Uhr

Während der Corona-Pandemie konzentrieren sich viele Schulen auf die Hauptfächer. Aber gerade in Krisenzeiten ist Islamischer Religionsunterrichts für muslimische Schüler*innen wichtig, findet Religionspädagogin Annett Abdel-Rahman.

Eine Schülerin schaut in ein islamisches Religionsbuch. © picture alliance/dpa Foto: Oliver Berg
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von Annett Abdel-Rahman

Islamischer Religionsunterricht ist noch ein junges Fach, das es aber mittlerweile in Niedersachsen an Grundschulen ebenso gibt wie an Gymnasien. Bislang wird es an ausgewählten Schulen unterrichtet, denn noch fehlen ausgebildete Lehrkräfte. In Niedersachsen unterrichten momentan ungefähr 30 Lehrkräfte an zirka 60 Schulen. Das ist viel zu wenig, denn der Bedarf ist wesentlich größer. Bundesweit ist Niedersachsen aber Vorreiter, denn Islamischer Religionsunterricht (IRU) ist ein reguläres Unterrichtsfach, das auch relevant für die Versetzung und kein Modellunterricht mehr ist. Der Blick in die Seminare des Instituts für islamische Theologie der Universität Osnabrück stimmt aber optimistisch: Die Anzahl der Lehramtsstudierenden wächst.

Islamischer Religionsunterricht

2003 startete das Land Niedersachsen mit dem Fach Islamischer Religionsunterricht an den allgemeinbildenden Schulen. Der Unterricht erfolgt in deutscher Sprache nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Schulgesetzes. Ab einer Zahl von zwölf Schülerinnen und Schülern pro Schule kann Islamischer Religionsunterricht erteilt werden.

Die Zeit der Corona-Pandemie belastet unser kleines Fach sehr. Warum ist das so? Alle Schulen stehen vor der großen Herausforderung, Bildung trotz der Pandemie zu gewährleisten. Im Religionsunterricht treffen sich Schüler*innen unterschiedlicher Klassen. Die Hygienebestimmungen und der Lehrkräftemangel an den Schulen erschweren gemischte Lerngruppen. Manche Schulen haben deshalb entschieden, keinen IRU mehr anzubieten. Das Lernen in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch sollte gesichert sein.

Junge Menschen benötigen emotionalen Austausch

Religiöse Bildung ist essentiell. Sie umfasst auch im IRU die Fragen nach dem Sinn des Lebens, die Einordnung von Denken, Fühlen und Handeln in das, was jetzt ist und die Fragen danach, wie junge Menschen sich in ihrem Leben und in dieser Gesellschaft selbstbestimmt zurechtfinden können. Um Krisen wie die Corona-Pandemie zu bewältigen, braucht es den Austausch, rational wie emotional und den Halt durch vertraute Menschen. Vertrauensbasis ist hier der gemeinsame religiöse (islamische) Blick auf das Leben.

Die Religionspädagogin Annett Abdel-Rahman © Annett Abdel-Rahman
Annett Abdel-Rahman hat in Islamischer Religionspädagogik promoviert und arbeitet für das niedersächsische Kultusministerium.

Auch muslimische Schüler*innen belastet es, Gemeinschaften nicht uneingeschränkt erleben zu können. Die beiden letzten Ramadan-Festzeiten waren keine fröhlichen, abendlichen Begegnungen mit Familie und vielen Freunden, sondern sie waren für viele einsam und fanden außerhalb ihrer Moscheegemeinden statt. Das gilt auch für die beiden Opferfeste. Beim Gebet in der Moschee stehen die Gläubigen normalerweise eng nebeneinander, symbolisch für eine Gemeinschaft, die Halt gibt. Nun sehen muslimische Schüler*innen Abstände zwischen den Betenden, jeder steht für sich allein.

Religion als Tool zur Krisenbewältigung

Wenn der Islamische Religionsunterricht dann nicht oder nur gekürzt stattfindet, verlieren muslimische Schüler*innen nicht nur ihren vertrauten Raum, sich mit ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin und anderen muslimischen Schüler*innen austauschen zu können. Sie verlieren auch die Chance, die der IRU ihnen zur seelischen Bewältigung der Krise bieten kann: Ihre Religion und ihren Glauben als Tool zu verstehen und zu nutzen, um mit ihren Erlebnissen und ihren Ängsten besser umgehen zu können. Wie wichtig das ist, bestätigt zum Beispiel die neue Studie des renommierten Jugendforschers Simon Schnetzer zu jungen Menschen in Deutschland während der Corona-Pandemie:

Junge Leute mit einer starken religiösen Orientierung gehen unbeschadeter, optimistischer und erfolgreicher durch die Krise, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Ein starker Glaube scheint ein hohes Ausmaß von Zukunftsvertrauen und Widerstandsfähigkeit gegenüber den Unsicherheiten, Veränderungen und Widrigkeiten der Corona-Pandemie mit sich zu bringen. Auszug aus der Studie "Jugend und Corona in Deutschland"

In Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen wurde deutlich, dass sie sich sorgen um ihre Schüler*innen, und dass sie ausnahmslos ihr Bestes geben, um die Verbindung zu ihnen zu halten. Dafür haben sie Respekt verdient. Es bleibt zu hoffen, dass Schulen dieses Potenzial anerkennen und auch Religionsunterricht als Kernfach verstehen.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Kultur | Freitagsforum | 05.11.2021 | 15:20 Uhr

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