Stand: 31.03.2016 18:42 Uhr

Das Erdogan-Syndrom

Ein Kommentar von Kerim Pamuk

Poträtfoto des Autors Kerim Pamuk © KVDL.de Foto: Kolja von der Lippe
Der Kabarettist Kerim Pamuk findet den Umgang des türkischen Präsidenten Erdogan mit Satire "unfassbar unsouverän".

Sind Sie leicht reizbar? Nehmen Sie immer alles persönlich? Würden Sie gern den Dackel des Nachbarn verklagen, weil er Sie mit seinen Dackelaugen verächtlich anblickt? Reagieren Sie heftig bis fuchsteufelswild, wenn sich jemand einen Scherz auf Ihre Kosten erlaubt? Denken Sie auch, dass man alles selber machen muss, weil alle anderen grundsätzlich ahnungslose und undankbare Dilettanten sind?

Dann haben Sie es auch: das Erdogan-Syndrom!

Videos
Erdogan winkt.
2 Min

Song: Erdowie, Erdowo, Erdogan

In Sachen Pressefreiheit und Menschenrechte tritt der türkische Präsident ziemlich verhaltenskreativ auf. Also diplomatisch ausgedrückt. Das ist bei uns anders. Unser Song für Istanbul. 2 Min

Die schlechte Nachricht: Sie werden sich bis ans Ende Ihrer Tage grün bis blau bis tot ärgern, weil jeder und alles Sie kränken wird. Weil die verdammte Welt einfach nicht kapieren will, dass Sie als einziger unter Gottes Sonne wissen, wo es langgeht.

Die gute Nachricht: Sie haben das Zeug zum Herrscher über ein 70-Millionen-Volk!

Die nackte Wahrheit tut besonders weh

Der türkische Staatspräsident hat wieder zugeschlagen, genauer gesagt: Er hat einbestellt. Und zwar den deutschen Botschafter. Mal wieder fühlt er sich beleidigt und herabgesetzt. Er verlangt die sofortige Löschung eines lustigen Videos der NDR-Satire-Sendung Extra 3. Am meisten stört Erdogan wohl, dass in dem Clip nichts verfremdet oder verfälscht wurde. Denn das Video zeigt ein kurzes Best-of seines Umgangs mit Demonstranten und Journalisten. Nichts tut ja bekanntlich mehr weh als die nackte Wahrheit. Und Erdogan hat schlimme Schmerzen, denn andauernd rütteln Journalisten, Satiriker und andere denkende Menschen an seinem sehr klaren und sehr transparenten Demokratieverständnis, das da lautet: Alle Macht geht von mir aus.

Was macht Erdogan als nächstes?

Die Sendung zum Nachhören
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Parlament in Ankara. © picture alliance/AP Images
3 Min

Das Erdogan-Syndrom

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fühlt sich durch eine Satire des NDR Fernsehens bloßgestellt. Ein Kommentar des deutsch-türkischen Kabarettisten Kerim Pamuk. 3 Min

Ich wünschte, ich könnte mich noch über sein Gebaren aufregen. Ich wünschte, ich könnte in bester deutscher Manier beständig und empört den Kopf schütteln über diese unfassbar unsouveräne Art eines Staatspräsidenten. Aber jede Empörung und jede Fassungslosigkeit ist bei mir der schieren Neugier gewichen. Zum einen frage ich mich: Wie passiert so etwas? Wie erfährt er ganz konkret zum Beispiel von diesem Video? Sitzt er nächtelang am Computer und gibt bei Google seinen Namen ein? Klickt er jeden Treffer an, um zu gucken, ob er dort in irgendeiner Sprache, durch irgendein Bild oder Video beleidigt wird? Durchsiebt er systematisch das Internet nach optionalen Kränkungen? Oder machen das seine Lakaien für ihn? Wird man in seinem Herrschaftsapparat Mitarbeiter des Monats, wenn man die provozierendste Beleidigung aus dem Netz fischt und ihm brühwarm serviert?

Zum anderen frage ich mich: Was macht er als nächstes? Wird er vielleicht eine türkische Großstadt abreißen, weil sie ihm die Sicht auf seinen nächsten Protzbau versperrt? Müssen alle Männer, die den türkischen Allerweltsnamen Erdogan tragen, sich umbenennen, damit nur er so heißt? Und wird er vielleicht als nächstes auch Dinge verklagen - zum Beispiel die Sonne, weil sie nicht dann scheint, wenn er es befiehlt?

Die deutsche Regierung drückt sich

Und was macht die deutsche Regierung? Sie lässt sich an der Nase durch die Manege ziehen und drückt sich um jedes kritische Wort, damit Erdogan uns als "Partner" die Flüchtlinge vom Leib hält. Dabei sollten wir doch längst wissen, dass es für ihn keine Partner gibt, sondern nur Untertanen und Feinde. Und jetzt dürfen Sie raten, wozu er die deutsche Regierung und die Medien zählt.

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 01.04.2016 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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