"Flucht" und "Unsichtbare Frauen" gewinnen Sachbuchpreis 2020
Erstmalig gewinnen zwei Bücher den NDR Kultur Sachbuchpreis: "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado-Perez in einer Übersetzung von Stephanie Singh und "Flucht" von Andreas Kossert.
In diesem Jahr gibt es eine Premiere beim NDR Kultur Sachbuchpreis: Erstmals zeichnete die Jury gleich zwei Bücher mit dem begehrten Titel als bestes in deutscher Sprache verfasstes Sachbuch aus. Die Jury ist sich einig: "Also das ist wirklich ein doppelter Glücksfall", freut sich die Schriftstellerin Hilal Sezgin. Der Theologe Johann Hinrich Claussen ergänzt: "Und das hat jetzt nichts mit einer Quote zu tun, sondern damit, dass einfach ein Mann und eine Frau sehr, sehr lesenswerte Bücher verfasst haben." Und NDR Programmdirektorin Hörfunk und Jury-Vorsitzende Katja Marx gibt schlicht und ergreifend zu: "Wir haben am Ende uns nicht entscheiden können."
Zwei Titel - zwei Gewinner
Doch dann, erzählt Katja Marx, war da plötzlich dieser Gedanke: Wenn in diesem Jahr aufgrund der Corona-Bestimmungen schon keine große Preisverleihung, keine Gala durchgeführt werden kann, dann soll wenigstens doppelt gejubelt werden: "Wir wollen ganz bewusst das Thema Sachbuch in diesem Jahr stärken und vergeben zweimal einen ersten Preis und Geld, das wir ansonsten auch verwendet haben, um zu feiern - zusammen natürlich mit den Autorinnen und Autoren - das stecken wir jetzt eben in ein zweites Preisgeld und wollen damit der Bedeutung des Sachbuchs, gerade in diesem Jahr, noch eine viel höhere Wertigkeit verschaffen."
"Unsichtbare Frauen": Trotz vieler Zahlen ein echter "Pageturner"
Die Britin Criado-Perez schreibt in "Unsichtbare Frauen", übersetzt von Stephanie Singh, über die Tatsache, dass die meisten Daten, die gesammelt werden, von Männern stammen. Der Untertitel ihres Buches lautet denn auch: "Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert". Diese Ignoranz kann mitunter sogar den Tod zur Folge haben, erklärt Criado-Perez: "Ich habe erfahren, dass selbst Medikamente für Männer gemacht sind und Frauen aus diesem Grund an einem Herzinfarkt sterben können. Das ist so schockierend - darüber musste ich schreiben."
Criado-Perez habe in "Unsichtbare Frauen" unzählige Beispiele und Fakten zusammengetragen, sagt Jury-Mitglied Hilal Sezgin, und trotz der vielen Zahlen einen regelrechten "Pageturner" geschaffen. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Stephanie Singh.
"Flucht": Bemühen um Perspektivwechsel
"Flucht. Eine Menschheitsgeschichte", geschrieben von Andreas Kossert, liegt die Frage zugrunde, was es eigentlich bedeute zu fliehen oder vertrieben zu werden, erklärt der Autor: "Es geht mir um die erfahrungsgeschichtliche Verortung eines uralten Menschheitskonflikts. Mir geht es auch um einen Perspektivwechsel, nämlich, die Welt aus der Sicht von Flüchtlingen und Vertriebenen zu sehen und dabei ihre Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen."
Jury-Mitglied Johann Hinrich Claussen ergänzt: "Er zeigt einfach auf, dass Flucht und Vertreibung nicht das Problem der anderen ist, sondern gerade auch in Deutschland tief verwoben ist mit der eigenen Familiengeschichte, und stiftet einen Sinn dafür, dass es eben alle angeht."
Gewinner aus 340 eingereichten Titeln
Mehr als 340 Titel hatten die Verlage für den NDR Kultur Sachbuchpreis 2020 eingereicht. Am 24. November dürfen Caroline Criado-Perez und Andreas Kossert den Preis entgegennehmen. Nicht, wie ursprünglich geplant, bei einer Gala in Schloss Herrenhausen, aber in einer Radiosendung, ab 19 Uhr - live übertragen auf NDR Kultur. Dann wird außerdem der Förderpreis "Opus Primum" der VolkswagenStiftung für ein herausragendes wissenschaftliches Debüt verliehen.