Stand: 14.10.2018 10:00 Uhr

Der Fall Peter Stilijanov: Kunstraub in der DDR

von Silke Lahmann-Lammert

Erst in den vergangenen Jahren ist bekannt geworden, dass es in deutschen Museen noch immer zahllose Kunstwerke gibt, die jüdischen Besitzern von den Nationalsozialisten gestohlen wurden. Kaum jemand weiß jedoch, dass das DDR-Regime ganz ähnliche Taktiken wie die Nazis anwandte, um sich am Kunstbesitz seiner Bürger zu bereichern.

Porträt des Pianisten Peter Stilijanov. © ndr
Bei seiner Ausreise aus der DDR wurden mehrere Gemälde von Peter Stilijanov beschlagnahmt.

Am 25. Januar 1985 will Peter Stilijanov die DDR für immer verlassen. In seiner Tasche steckt eine staatlich erteilte Ausreisegenehmigung. Er will nach München ziehen, zu der westdeutschen Frau, die er vor Kurzem geheiratet hat. Am Grenzbahnhof Gutenfürst betreten zwei DDR-Zöllner das Abteil und durchsuchen seine Koffer. Sie haben es auf die Kunstwerke abgesehen, die er bei sich hat. Stilijanovs Mutter war Malerin, sein Stiefvater der bekannte Künstler Bernhard Kretzschmar. Der Stiefvater spielte eine besondere Rolle für Peter Stilijanov: "Als Kind hat er sehr viel für mich gemacht. Da war ich sehr mit ihm verbunden. Mein Vater war ja nicht da und Kretzschmar hat dann diese Rolle eingenommen."

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Ein Problem der DDR: Geldmangel

Die Zeichnungen, Graphiken, Bildergeschichten und Briefe, die er in den Westen mitnehmen will, hat Stilijanov von seinen Künstler-Eltern geerbt. Obwohl er eine offizielle Ausfuhrgenehmigung vorlegen kann, beschlagnahmen die Zöllner sein gesamtes Gepäck. "Die DDR hat chronisch unter Geldmangel gelitten. Das sieht man an den Stasiunterlagen", erklärt die Kunsthistorikerin Kornelia von Berswordt-Wallrabe. "Seitens des Ministeriums für Staatsicherheit und der Finanzen suchte man ständig neue Wege um wieder an Geld zu kommen."

Von Berswordt-Wallrabe, die ehemalige Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin, ist eine der wenigen Wissenschaftlerinnen, die sich mit dem "Kulturgut-Entzug in der DDR" beschäftigt haben. Ihre Forschungen beweisen, dass die Aktion am Grenzbahnhof Gutenfürst kein Einzelfall war, sondern Teil eines staatlichen Komplotts: "Es gibt ganze Handlungsanweisungen, wie man Geld beschaffen sollte. Diese sind der Motor, um im größten Stil Kunst und Kulturgut zu entziehen, um dann den Besitz vermarkten, oder auf irgendeine Weise nutzen zu können."

Gestohlene Kunst für DDR-Museen

Bei Peter Stilijanov beschlagnahmen die DDR-Beamten nicht nur Arbeiten auf Papier, sondern auch die weitaus wertvolleren Ölgemälde, die er bei einem Cousin in Dresden zurückgelassen hat. Um den Raub am eigenen Bürger zu verschleiern, bezichtigt der Staat den Pianisten Stilijanov, Erbschaftssteuern unterschlagen zu haben. Zu Unrecht, wie das Oberlandesgericht Dresden erst 2002 feststellt. Nach der Wende erfährt Stilijanov, dass der künstlerische Nachlass seiner Eltern in verschiedenen DDR-Museen gelandet ist. Um ihre mageren Museumsbestände aufzufüllen, beschlagnahmte die DDR systematisch Privatsammlungen und kriminalisierte die Besitzer. Für die Kunsthistorikerin von Berswordt-Wallrabe unvorstellbar: "Als Museumsfrau ist das für mich untragbar." Die Kunsthistorikerin möchte diese Ungerechtigkeit endlich thematisieren: "Es muss begonnen werden, darüber zu sprechen. Aber es wird nicht gesprochen." 

Ein Kampf, der bis heute andauert

Peter Stilijanov kämpfte jahrelang darum, sein Erbe zurückzubekommen. Die zehn Ölgemälde, die als Gegenwert für die vermeintliche Steuerschuld herhalten mussten, hängen bis heute in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. "Mir geht es um die Ethik in der Museumswelt", sagt Kornelia von Berswordt-Wallrabe. "Das geht so nicht. Das ist Betrug und die Bestände gehören nicht in diese Häuser."

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