"Femme fatale": Sexistische Kunst thematisieren oder verbannen?

Stand: 09.12.2022 06:00 Uhr

Die Hamburger Kunsthalle zeigt eine große Ausstellung über die "Femme fatale". Sie gilt als Sinnbild der Sündhaftigkeit. Bilder zeigen sie erotisch-provozierend, eine Gefahr für die Männer, die sie erfanden. Kann das gut gehen?

von Anette Schneider

Effektvoll ausgeleuchtet hängen sie dicht an dicht auf dunklen, anthrazitfarbenen Wänden: nackte oder leicht verschleierte Frauen mit wallenden Haaren. Sie räkeln sich lasziv auf einem goldenen Thron oder einem Leopardenfell. Sie flirten mit einer Riesenschlange oder werden selbst zum Raubtier und fallen Männer an.

In exotistischen Haremsszenen betören sie ganze Heerscharen von Männern durch ihren lasziven Tanz - um sie dann ins Verderben zu stürzen. "Die Femme fatale ist ein zumeist männliches Projektionsbild, ein Mythos, die Vorstellung eines bestimmten Frauentypus", erklärt Kurator Markus Bertsch. "Eine Frau, die über eine besondere Verführungskraft verfügt, in der Regel ist das über die Attraktivität des eigenen Körpers erkauft, der dementsprechend eingesetzt wird, um den Mann zu umgarnen. Um den Mann aufgrund ihres dämonischen Wesens eben auch an sich zu ziehen."

Frauenverachtung, Sexismus und Rassismus

Ihre mythenbeladenen Namen lauten: Helena, Medea, Lilith, Loreley, Salome oder Judith. Gemeint aber ist die Frau an sich. Egal, ob Präraffaeliten, Symbolisten, Künstler der Münchner Schule oder Edvard Munch den Pinsel schwangen: Die Bilder triefen vor Frauenverachtung, Sexismus und Rassismus. Doch noch bevor man sich fragen kann, was eine solche Ausstellung heute soll, zeigt ein kleines Video vor den Bildern eine moderne Loreley, die sich auf einer stürmischen Dachterrasse ihre langen Haare abschneidet. Die sich von dem befreit, wozu die Männer sie machen wollen. Solche feministischen Sticheleien, die den männlichen Blick brechen, gibt es mehrfach, sagt Markus Bertsch. "Wo wir auch Künstlerinnen-Positionen haben, die dieses Thema auflösen, die sich dieses Themas bemächtigen, um dem dann eben auch eine eigene, grundverschiedene Sicht entgegenzusetzen."

Kontextualisierung statt Verbannung

Gleichzeitig schärfen Wandtexte den Blick auf die Bilder und ihre Zeit. Und als Clou entpuppt sich eine Broschüre von den Macherinnen des feministischen Missy Magazins, die erfrischend frech von heute aus analysiert werden, inklusive Crash-Kurs in Sachen Feminismus und Gendervielfalt. Kurator Markus Bertsch dazu: "Was wiederum Energie in der Ausstellung stiftet, wo man merkt, können wir das überhaupt auslegen? Da wird das Bild ein bisschen arg diskreditiert. Aber das ist genau richtig: Wir müssen auch loslassen können."

Während andere Museen solche Bilder ins Depot verbannten, zeigt die Ausstellung in Hamburg, wie man auch mit ihnen umgehen kann: Als kunsthistorisches Dokument, das in bürgerlichen Salons des späten 19. Jahrhunderts hing und bestimmte, gesellschaftliche Ideen spiegelte. Wobei die Dämonisierung der Frau als männermordender Vampir genau in der Zeit aufkam, als Frauen immer lauter das Recht auf Bildung und Arbeit forderten, und Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen begannen, der Allmacht der Herren Konkurrenz zu machen. "Das ist so ein neuer Blick auf die Frau. Da wird es blutrünstiger. Und es zeichnet sich schon ab, dass die Künstler sich an diesen Konstellationen abarbeiten und das Thema des Geschlechterkampfes ins Bild setzen."

Reise durch Kunst- und Gesellschaftsgeschichte

Am Ende der Ausstellung steht man dann in strahlend weißen Sälen und kann wieder frei durchatmen: Hier zeigen feministische Arbeiten, wie Frauen sich seit den 1920er-Jahren selbst ermächtigen, wie sie die männlichen Allmachtsphantasien ironisch, sarkastisch und spielerisch zertrümmern und eine Vielzahl eigener Geschlechter- und Menschenbilder entwerfen. Was für eine Reise durch unsere Kunst- und Gesellschaftsgeschichte.

Weitere Informationen
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"Femme fatale": Sexistische Kunst thematisieren oder verbannen?

Die Hamburger Kunsthalle zeigt Bilder von Frauen als Sinnbild der Sündhaftigkeit in einer Ausstellung.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall 5
20095  Hamburg
Telefon:
+49-(0)40-428131-200
Öffnungszeiten:
MO: Geschlossen
DI-SO: 10 - 18 Uhr
DO:  10 - 21 Uhr
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 08.12.2022 | 15:40 Uhr

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