Schauspieler Sebastian Zimmler hockt vorn auf der Bühne zwischen Bambusstäben, im Hintergrund steht Tilo Werner in Anzug und mit Hut. © Thalia Theater Foto: Armin Smailovic
Schauspieler Sebastian Zimmler hockt vorn auf der Bühne zwischen Bambusstäben, im Hintergrund steht Tilo Werner in Anzug und mit Hut. © Thalia Theater Foto: Armin Smailovic
Schauspieler Sebastian Zimmler hockt vorn auf der Bühne zwischen Bambusstäben, im Hintergrund steht Tilo Werner in Anzug und mit Hut. © Thalia Theater Foto: Armin Smailovic
AUDIO: Packende Premiere von "Wolf unter Wölfen" (3 Min)

Packende Premiere von "Wolf unter Wölfen" am Hamburger Thalia

Stand: 19.01.2024 10:28 Uhr

Am Hamburger Thalia Theater haben mit der Premiere von "Wolf unter Wölfen" die Internationalen Lessingtage begonnen. Eine großartige Aufführung, in der sich gesellschaftliche Themen widerspiegeln.

von Katja Weise

Es ist eine Inszenierung von Luk Perceval nach dem Roman von Hans Fallada. Der belgische Regisseur hatte an der Bühne bereits vor einigen Jahren mit einem anderen Fallada-Roman einen großen Erfolg: "Jeder stirbt für sich allein". Musik, Bilder, Sprache - alles fließt in der Premiere von "Wolf unter Wölfen" zusammen. Dieser Abend ist ein Gesamtkunstwerk: poetisch, düster, manchmal grotesk. Unermüdlich kreist die Drehbühne, zieht auch Wolfgang Pagel seine Kreise, denn, so sein Credo: Man muss marschieren, um sich zu begegnen. Im Sommer 1923 will er in Berlin seine Petra heiraten, doch in der Nacht vor der Hochzeit verliert er beim Glücksspiel alles.

Geniales Bühnenbild von Annette Kurz

Die Schauspieler Tilo Werner und Oda Thormeyer führen Sebastian Zimmler auf der Bühne ab. Im Hintergrund wälzen sich Ensemblemitglieder auf dem Boden. © Thalia Theater Foto: Armin Smailovic
Die Schauspieler Tilo Werner und Oda Thormeyer führen Sebastian Zimmler auf der Bühne ab.

Fünf übermenschlich große Bälle symbolisieren die Roulette-Kugeln, sind Gegner und Spielzeug zugleich. Eine geniale Idee. Als Pagel kein Geld mehr hat, verschwinden sie. Nur eine steigt hoch in den Bühnenhimmel und ist fortan ein Mond. Der leuchtet über dem Wald, der jetzt entsteht. Denn Pagel zieht mit einem früheren Kriegskameraden und seinem ehemaligen Vorgesetzten Rittmeister von Prackwitz auf dessen Gut. Das liegt am Wald, der hier von Pagel eigenhändig aufgebaut wird: Bambusstange um Bambusstange. Auch das großartig ersonnen von Bühnenbildnerin Annette Kurz.

Publikum sieht Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen

Doch im Grunde herrscht auf dem Gut das nackte Chaos. Es fehlen Arbeitskräfte, täglich verliert das Geld an Wert, die Inflation ist gespenstisch hoch, die Familiensituation angespannt. Und im Wald vergräbt die schwarze Reichswehr Waffen: Sie will die Regierung stürzen. Auch von Prackwitz will mitmachen.

Ein Mann aus dem Publikum sieht Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen: "Mein erster Eindruck ist heute Abend, dass ich es so empfinde, wie ich unsere Gesellschaft und die Welt im Moment empfinde: dass wir im Zerfall begriffen sind und wenn wir nicht aufpassen, dann endet das nicht gut." Eine andere Zuschauerin sagt: "Zum Teil beängstigende Parallelen zur heutigen Zeit. Das fand ich sehr, sehr stark."

Man muss sich einlassen - nicht alles erschließt sich gleich

Philipp Haagen und Rainer Süßmilch übersetzen das Geschehen virtuos in Klänge, und Regisseur Luk Perceval schiebt alles in- und übereinander. Er schafft aus den verschiedenen Elementen eine bild- und wirkmächtige Collage, auf die man sich einlassen muss. Eine Zuschauerin resümiert: "Eigentlich müsste man das Buch nochmal lesen, um die Tiefsinnigkeit darin zu verstehen. Ich habe es vorher nicht gekannt, deswegen war es für mich teilweise schwer nachzuverfolgen."

Großartige Darstellung des "Pagel" von Sebastian Zimmler

Aber viel überträgt sich über den Klang, die Bilder, die von Nebel durchzogen immer undurchsichtiger werden und zunehmend an Gemälde erinnern.

Die erst fünfzehnjährige Vio von Prackwitz verliebt sich heftig und wird brutal enttäuscht. Die Welt steht am Abgrund, die Menschen geraten reihenweise ins Taumeln, doch Pagel glaubt weiter an die Liebe. Sebastian Zimmler schenkt der Figur Verletzlichkeit und Melancholie, auch eine gewisse Härte. Das ist großartig.

Weitere Informationen
Ein Nachbau der Statue von Gotthold Ephraim Lessing vom Gänsemarkt unterwegs auf dem Hamburger Dom. Die Figur hält ein Schild mit der Aufschrift: "Lessing on Tour". © Screenshot
2 Min

Die 15. Lessingstage am Thalia Theater starten

Im Fokus werden Fragen rund ums Klima, die Zukunft und die Kunst stehen. Den Beginn macht das Hans-Fallada-Stück "Wolf unter Wölfen". 2 Min

Ein Paar in einer Küche: Sie sitzt an einem Tisch und hält ein Glas in der Hand, er steht hinter ihr an einer Arbeitsplatte. © Armin Smailovic

"Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel

Mattias Andersson hat Ingmar Bergmanns Film aus dem Jahr 1968 neu interpretiert. Am Freitag war Uraufführung am Thalia in der Gaußstraße. mehr

Das Hamburger Thalia Theater von außen. © Thalia Theater

Erkältungswelle: Einspringer am Schauspielhaus und Thalia in Hamburg

Wenn ein Knopf im Ohr einen Star wie Devid Striesow ersetzen muss: Über den Mut von Einspringern und Stress im Hintergrund von Theaterbühnen. mehr

Packende Premiere von "Wolf unter Wölfen" am Hamburger Thalia

Am Hamburger Thalia Theater haben die Internationalen Lessingtage begonnen. Der Auftakt spiegelt gesellschaftliche Themen.

Datum:
Ende:
Ort:
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 19.01.2024 | 07:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Theaterfestival

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Szenenbild aus Mozarts "La Clemenza di Tito" © Hans Jörg Michel Foto: Hans Jörg Michel

"La Clemenza di Tito" in Hamburg: Der Funke springt nicht über

"La Clemenza di Tito" ist Mozarts letzte Oper. Nun hat sie in der Hamburger Staatsoper Premiere gefeiert. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage: Demokratie unter Druck?