Itzehoer Speeldeel: "Dringend jugendliche Liebhaber gesucht!"
Die etwa 30 aktiven Darstellerinnen und Darstellern der Itzehoer Speeldeel bringen trotz Nachwuchssorgen jedes Jahr drei eigene plattdeutsche Stücke auf die Bühne. Ein zeitlich immenser Aufwand.
Draußen ist "gruliges" Wetter, Itzehoe zeigt sich von seiner nasskalten winterlichen Seite. Trotzdem, die Mitglieder der Itzehoer Speeldeel sind an diesem Abend Ende 2021 alle pünktlich zur Probe ins Theater Itzehoe gekommen. Aus den vielen Fenstern dieses prächtigen, ovalen, modernen Baus in der Itzehoer Innenstadt scheint warmes Licht aus dem großzügig gestalteten Foyer auf die Stufen vor dem Theater. In normalen Spielzeiten bietet es Platz für über 400 Besucher. Das Theater selbst hat kein eigenes Ensemble, sondern wird von freien Theater- und Musikproduktionen und regelmäßig auch durch das Schleswig-Holsteinische Landestheater bespielt. Lediglich die Itzehoer Speeldeel gehört von Anfang an, seit dem Jahr 1992, zum festen Inventar.
Itzehoer Speeldeel: Proben im Theater Itzehoe

Im Souterrain des Gebäudes rechts um die Ecke trifft sich die Itzehoer Speeldeel regelmäßig zu ihren Proben. In den Ecken des kleinen Proberaums stehen ein paar Requisiten, alte Plakate von ehemaligen Aufführungen und ein paar Stühle. Hier schlägt das Herz der Itzehoer Speeldeel. "Wir haben schon sehr viel Glück, dass wir hier im Theater Itzehoe die Möglichkeit haben, zu proben und unsere Stücke aufzuführen", sagt Bühnenleiterin Regina Mehlmann und nickt dankbar, während sie in dem Manuskript eines plattdeutschen Theaterstückes blättert.
Vom "Klub Humor" über "Doppeleek" zur "Itzehoer Speeldeel"
Bereits im späten 19. Jahrhundert wurde in Itzehoe der Vorreiter der heutigen Speeldeel, der "Klub Humor", gegründet, allerdings ohne großen Erfolg. Die Mitgliederzahl wurde immer kleiner. 1901 beschlossen die letzten "Klub"- Mitglieder dann die Umbenennung des Vereins in "Doppeleek". Ein symbolträchtiger Name, steht die Doppeleiche doch für mehrere Zweige - in diesem Fall eine "Theoter- und een Gesangsafdehlung".
Doch Singen war offenbar nicht so das Ding der Itzehoer. Mitgliederschwund und immer weniger Beteiligung führten 1925/26 zum Ende dieser Sparte. Zu dieser Zeit hatte sich die Theaterabteilung bereits einen eigenen Namen gemacht. Ihr erstes Stück, die Bauernkomödie "De dütsche Michel", war ein so großer Erfolg, dass Malermeister Karl Heidenreich und der Zeitungsredakteur Klaus Sothmann sich entschlossen, aus der plattdeutschen Vereinigung "Doppeleek" die "Itzehoer Speeldeel" zu machen. Dem damals gegründeten Verein gehören heute etwa 50 Mitglieder an.
Das Vorbild: Dr. Richard Ohnsorg
Nach den Wirren des ersten Weltkrieges war die Itzehoer Speeldeel eine von vielen neu gegründeten niederdeutschen Bühnen, die die plattdeutsche Sprache auf der Bühne gesellschaftsfähig machten. Das kam gut an und half, neuen Halt in den alten Werten zu finden. Einer der bewunderten Vorreiter - und Vorbild auch für die Itzehoer Speeldeel - war Dr. Richard Ohnsorg aus Hamburg. Bis heute kommt das Ensemble des Ohnsorg-Theaters regelmäßig zu Gastspielen nach Itzehoe.
1924 wird die Itzehoer Speeldeel ganz offiziell zum eingetragenen Verein. Aber Geldsorgen plagen die Truppe, manchmal bleibt die Heizung im Saal kalt, um Geld zu sparen. Dem Erfolg tut das keinen Abbruch: Die Itzehoer Speeldeel ist viel unterwegs, nicht nur im Kreis Steinburg, sondern auch in Süderdithmarschen und im Kreis Rendsburg. Ihr Erfolgsrezept damals wie heute: eher was zum Lachen, als was Ernstes, manchmal sogar mit Gesang, aber jümmers allns op Platt.
Prägende Köpfe mit Leidenschaft für die Bühne
Im Laufe der Jahrzehnte haben viele Köpfe die Itzehoer Speeldeel geformt und geprägt, unter anderem nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Julius Lichtenberg. Der gebürtige Itzehoer war ausgebildeter Opernsänger und sehr bühnenerfahren. Wegen einer schweren Verletzung nach einem Bombenangriff musste er seine professionelle Bühnenlaufbahn aufgeben und übernahm 1953 für zwei Jahrzehnte mit viel Leidenschaft für die plattdeutsche Sprache die Spielleitung der Speeldeel. Unter seiner Regie brachte die Speeldeel über 100 Stücke auf die Bühne - meist Komödien, denn das wollten die Leute nach dem Krieg in erster Linie sehen. Nach Lichtenbergs Abschied wurde Wilhelm Kunert Spielleiter.
In den 1920er-Jahren vertraten bereits Ferdinand und Hermann Kunert die Kunert-Familie auf der Bühne, dann folgten die Geschwister Hedwig und Wilhelm. 1961 eroberte dann der junge Bernd zum ersten Mal die plattdeutsche Bühne: "Fröher mussten wi oppassen, dat de Olen uns Jungspunden nich de Pointen klaut hemm. Aver dat is för mi siet jeher dat Besonnere: dat de Olen un de Jungen tosoam op een Bühne stohn. Dat hettst hüüttodags nich oft!" Bernd Kunert hat nicht nur seine Frau Erika auf der Bühne kennen gelernt, sondern kommt inzwischen auf über 60 Jahre Bühnenerfahrung, mit etwa 1400 Aufführungen. "Aver dat is för mi jümmers wedder een Abenteuer, wenn ick een niees Stück instudeer. Scheun is dat", strahlt Bernd Kunert voller Begeisterung. Aber manchmal stehen auch Darsteller auf der Bühne, die eigentlich gar kein Platt schnacken - oder wenigstens nicht das richtige.
Een Dithmarscher Deern schnackt Steenburger Platt
"Als ich hier bei der Speeldeel ankam, konnte ich gar kein Platt, nur ein paar Worte. Und die waren dann auch noch Dithmarscher Platt": Doris Dammann ist für die Finanzen der Speeldeel zuständig, steht aber auch regelmäßig auf der Bühne, zum Beispiel als Monika in dem Stück "Dree'erpack", eine Mischung aus Krimi und viel Komödie rund um drei sehr neugierige Damen. "Sie haben mir jedes Mal geholfen, wenn ich mal wieder was falsch ausgesprochen habe." Aber wenn jemand kein Plattdeutsch kann und trotzdem mitspielen will, dann greift Spielleiter Uwe Matthießen zu einem kleinen Trick. "Dann schreibe ich den Text so um, dass derjenige, der kein Plattdeutsch spricht, das bei den ersten Proben auf hochdeutsch vorliest. Spätestens beim dritten Mal kommen die dann zu mir und sagen, 'Kannst du mir den Text auf Plattdeutsch aufschreiben, dann lerne ich das eben auswendig?' Das klappt prima. Wir können wirklich jeden Darsteller gebrauchen und schicken niemanden weg, nur weil er kein Platt schnackt."
Optimusmus trotz Nachwuchssorgen in Itzehoe
Die Itzehoer Speeldeel hat Nachwuchssorgen. "Vor allem junge Liebhaber fehlen an allen Ecken und Enden. Und das wirkt sich natürlich auch auf unser Repertoire aus", so Spielleiter Uwe Matthießen. Da werden dann schon mal Darsteller von der Glückstädter Speeldeel "ausgeliehen". Oder aber die Alten müssen mal wieder einspringen. Doch da gibt es dann manchmal biologische und auch familiäre Grenzen. "Bei einigen Stücken mit einem jungen Mann und einer jungen Frau, geht das schon ganz schön zur Sache," erzählt Uwe Matthießen. "Als ich noch nicht verheiratet war, war das kein großes Problem, aber nun ist das etwas anderes. Mal abgesehen davon, dass ich mit meinem lichten ergrauten Haupthaar nicht mehr als 30-jähriger Draufgänger durchgehe."
Trotzdem: Den etwa 30 aktiven Darstellerinnen und Darstellern - und durch das ehrenamtliche Engagement aller Beteiligten - gelingt es jedes Jahr wieder, drei eigene Stücke zu präsentieren. Ein zeitlich immenser Aufwand: "Das verlangt viel Disziplin", so Bernd Kunert. "Früher wurde viel mehr improvisiert, heute ist das professioneller. Geht auch gar nicht anders." Pro Stück sind sechs bis acht Wochen angesetzt mit drei Mal proben in der Woche. Daraus werden dann etwa 50 Aufführungen mit 7.000 Besucherinnen und Besuchern - in normalen Zeiten, ohne Corona. Aber Bernd Kunert und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter bleiben optimistisch: "Das Plattdeutsche Theater wird auch diese Krise bewältigen und dazu beitragen, dass die Sprache und unser Kulturgut erhalten bleiben." Aufgeben ist nach über 100 Jahren für Itzehoer Speeldeel keine Option. "Dafür lieben wir es viel zu sehr, auf der Bühne zu stehen und den Applaus als Lohn für unser Engagement zu bekommen."
