Vier Darstellerinnen von "Die Räuber" stehen engumschlungen auf der Bühne des Hamburger Thalia Theaters. © Armin Smailovic Foto: Armin Smailovic

"Die Räuber": Michael Thalheimers Rückkehr ans Thalia Theater

Stand: 31.10.2021 09:30 Uhr

Michael Thalheimer gilt als Meister der Reduktion. Nun kehrt er mit seiner Inszenierung von Schillers "Die Räuber" ans Hamburger Thalia Theater zurück, wo das Stück am 30. Oktober Premiere gefeiert hat. 

von Peter Helling

In diesem einen Moment herrscht Stille, absolute Stille im Saal: Zwei bis aufs Blut verfeindete Brüder stehen auf der Bühne, blicken sich in die Augen. Gesicht an Gesicht - ein großartiger Augenblick.

Merlin Sandmeyer spielt Franz Moor, Lisa Hagmeister Karl Moor. Sie sind Zwillinge, der eine vom Vater verachtet, der andere geliebt. Zündkapseln sind sie beide. Sie lösen eine Lawine der Gewalt aus.

"Die Räuber" am Thalia Theater: Fast komplett weiblich besetzt

Der Klassiker "Die Räuber" ist hier bis auf Franz komplett weiblich besetzt. Regisseur Michael Thalheimer lädt den kruden Erstling Schillers gewaltig auf: Gitarren jaulen, da wird geschrien, gejammert - es ist schon ein Elend mit den ungeliebten Kindern. Diese aufgepumpte Inszenierung findet nur mühsam in die Spur. 

Dabei fängt alles so gut an, was aber vor allem an Merlin Sandmeyer liegt: Er steht unter einer Art riesigem Mikroskop (Bühnenbild: Olaf Altmann), das ihn in einen Lichtkegel taucht. Der missratene Sohn Franz: Toxische Männlichkeit ist gar kein Ausdruck.

Anschließend wirbelt Lisa Hagmeister als Karl ("Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust?") im langen Kleid und in hohen Schuhen nach vorne, wirft Blätter von Papier in die Luft, mit unglaublicher Verve. 

Schiller kommt Michael Thalheimer in die Quere

So ist die ganze Versuchsanordnung dieser Gewaltlawine ein Glücksfall. Aber dann kommt Thalheimer der Schiller in die Quere. Der Klassiker fordert nun mal sein Recht, verlangt nach völlig unwahrscheinlichen Wendungen, nach Blutgeschrei und Splatter. Schiller braust ganz schön gestrig.

Leider buchstabiert Thalheimer die Handlung relativ werktreu nach, anstatt etwas Neues zu erzählen. Die weiblichen Räuber stehen dann irgendwann blutübergossen, mit Kippe in der Hand, an Bühnensäulen wie gewaltlüsterne Killer.

Männer-Klischees werden selten durchbrochen

Die weibliche Besetzung wird nicht wirklich genutzt. Klar, die Räuber dürfen sich hier mit Bier aus der Dose übergießen, weil man das ja als Proll-Mann so macht. Aber das sind nur Klischees. Die Männerbilder werden von den Spielerinnen so gut wie nie durchbrochen, nur übernommen und nachgespielt. Lisa Hagmeister schafft es aber, diese starren maskulinen Schablonen und starren Schiller‘schen Verse zu durchdringen. Sie lässt dahinter gucken - und wir erkennen mit Bestürzung: Gewalt ist ein menschliches Prinzip - und kennt kein Geschlecht.

Am Ende: Blut, Tod, Alptraum. Thalheimers "Räuber" landen in der Finsternis. Die Beklemmung ist mit Händen zu greifen. Wirklich weiterbringen tut sie einen aber nicht.

"Die Räuber": Michael Thalheimers Rückkehr ans Thalia Theater

Der Theater-Regisseur gilt als Meister der Reduktion. Nun feierte seine Inszenierung von Schillers Klassiker in Hamburg Premiere.

Art:
Bühne
Datum:
Ort:
Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
Telefon:
040 / 328 14 444
E-Mail:
theaterkasse@thalia-theater.de
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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 31.10.2021 | 06:55 Uhr

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