Buchcover: Irina Kilimnik - Sommer in Odessa © Kein & Aber Verlag

"Sommer in Odessa": Familienroman von Irina Kilimnik

Stand: 28.02.2023 06:00 Uhr

Die Schriftstellerin Irina Kilimnik ist 1993 aus der Ukraine nach Deutschland übersiedelt und hat zunächst Medizin studiert. In ihrem Roman "Sommer in Odessa" erinnert sie sich an unbeschwerte Sommer in einer lebendigen Stadt.

von Annemarie Stoltenberg

Etwas, das man in diesem Roman schnell lernt, ist die Erinnerung daran, dass Odessa bis vor kurzem weder eine rein ukrainische noch eine russische Stadt war, sondern eine Mischung aus beiden Kulturen und Sprachen. Zusammen mit Lehnwörtern aus dem Jüdischen wurde hier ein ganz eigener Dialekt gesprochen. Oft ging eine Spaltung quer durch die Familie:

Maschas Mutter himmelt alles an, was in irgendeiner Beziehung zur Ukraine steht, während ihr Vater im Russischen die wahre Stärke sieht. Mascha zufolge gibt es in dieser Ehe zwar wieder den nötigen Pepp, andererseits geht ihr das Getue unheimlich auf die Nerven. "Und in diesem Wahnsinn muss ich leben." Leseprobe

"Sommer in Odessa": Ein Großvater als Haustyrann

Mascha ist die beste Freundin der Ich-Erzählerin Olga, die in einem großen turbulenten Haushalt lebt mit ihrer Mutter, ihren beiden Tanten, drei Cousinen und dem Großvater. Der Großvater ist ein Haustyrann, wie er im Buche steht; er fühlt sich vom Schicksal betrogen, weil er nur drei Töchter bekommen hat und dann auch noch vier Enkeltöchter. Seine Schwiegersöhne hat er erfolgreich vertrieben und scheucht nun nach Stimmung und Belieben die Frauen seines Haushaltes. Seine Töchter ertragen die unentwegten Unverschämtheiten und Demütigungen des Vaters mit beispielloser Demut, während Olga gegen ihn zu opponieren beginnt.

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Die Liebe zu Odessa schwebt zwischen allen Zeilen

Olga ist vom Opa ausersehen, Medizin zu studieren. Sie tut es zwar brav, aber man ahnt, dass daraus in Wirklichkeit langfristig nichts werden kann. Sie verliebt sich, erlebt Liebesverrat und Freundschaft. Sie wird auf eine sehr poetisch beschriebene Weise erwachsen und zwischen allen Zeilen schwebt die Liebe zu ihrer Heimatstadt Odessa wie ein Requiem:

Bald wird nichts mehr vom alten, ursprünglichen Odessa übrig sein, denke ich, als wir einen dieser greisenhaften Innenhöfe mit heruntergekommenen Häusern, herumhängenden Kabelschleifen und dem Geruch gebratenen Fischs betreten. Ein Dutzend Katzen eilt uns entgegen in der Hoffnung, wir hätten etwas Essbares dabei, und sie miauen beleidigt, als wir an ihnen vorbeigehen. Leseprobe

Roman beschreibt das Odessa vor dem russischen Angriff

Es ist die Zeit noch vor den Zerstörungen seit 2022. Zum Geburtstag des Großvaters erscheint David, ein alter Freund, der nach Amerika ausgewandert ist. Er stellt noch einmal emotional alles auf den Kopf. Hatte der Großvater doch einen Sohn?

Das Wunderbare an diesem Roman von Irina Kilimnik ist, dass er nur in Odessa spielen könnte und gleichzeitig in jeder Familie auf der Welt. Oder gibt es tatsächlich irgendwo ein Land, in dem Töchter gesellschaftlich genauso viel wert sind wie Söhne? Das wäre dann wohl das Paradies.

Sommer in Odessa

von Irina Kilimnik
Seitenzahl:
288 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Kein & Aber
Bestellnummer:
978-3-0369-5897-2
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 28.02.2023 | 07:20 Uhr

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