NDR Buch des Monats November: "Reise mit Clara durch Deutschland"
Der spanische Schriftsteller Fernando Aramburu lebt seit Mitte der 1980er-Jahre in Deutschland. Sein Roman "Reise mit Clara durch Deutschland" spielt zu Beginn der 2000er-Jahre.
Roadtrips sind in der Literatur ein äußerst beliebtes Sujet. Fernando Aramburu fügt der langen Roadtrip-Literatur-Liste eine weitere feine, vergnüglich erzählte Geschichte hinzu. Der namenlose spanische Ich-Erzähler, von seiner deutschen Frau Clara meist nur Maus genannt, begleitet seine Frau auf Recherchereise durch Norddeutschland. Clara ist Lehrerin und Teilzeitschriftstellerin. Sie hat gerade ein Sabbatjahr und will einen literarischen Reiseführer über Deutschland schreiben. Das Paar wohnt in Nordseenähe und an einem regnerischen Tag im Juli geht es los:
Noch auf Höhe des Jadebusens hatte Clara einen ihrer Anfälle von Morgendepression bekommen. Morgens praktiziert Clara Niedergeschlagenheit, wie andere eine Joggingrunde durch den Park oder ihre tägliche Gymnastik machen. Ein vorbeifahrender Militärkonvoi hatte ihre Mutlosigkeit ausgelöst. Wir hatten gerade die Brücke über die Jade hinter uns, die man kaum einen Fluss nennen konnte. (...) Ich ahnte Grübelei, Verdruss, Probleme. Um zu vermeiden, dass aus dem Dampftopf ihrer Gedanken etwas überquoll und mich bespritzte, enthielt ich mich der Frage, was mit ihr sei. Buchzitat
Unter Beobachtung: die Dynamiken der Paarbeziehung
Erste Station der Reise ist ein Verwandtenbesuch in Cuxhaven, wo das Paar bei einer sehr alten Tante wohnt, und "Maus" gezwungen wird, einen Abfluss zu reparieren. Dann geht es weiter nach Bremen, nach Worpswede, in den Harz und nach Hannover. Der Ich-Erzähler, der eigentlich keine Lust auf die Reise hat, fährt quasi als Assistent seiner Frau mit, er soll recherchieren, Fotos machen, das Auto lenken. Sehr anrührend schildert Fernando Aramburu die Dynamiken der Paarbeziehung:
Dieses Ehepaar im Roman besteht aus zwei Menschen, die sehr unterschiedlich sind. Vom Charakter, von der Kultur. (...) Trotzdem sind sie in der Lage, ihre Konflikte unter einer bestimmten Grenze zu halten. (...) Wir können uns streiten, wir provozieren, aber eine bestimmte Grenze würden wir nie überschreiten. Dann wird die Beziehung harmonisch. Buchzitat
Fernando Aramburus Erzählen kommt fast absichtslos daher
Fernando Aramburu schlägt einen leichten, oft komischen, manchmal allerdings auch etwas onkelhaften Ton an. Sein Erzählen kommt fast absichtslos daher und überrascht dann doch immer wieder mit präzisen, lustigen Beobachtungen, zum Beispiel deutscher Besonderheiten:
"Vorher hatte ich mir die Schuhe ausgezogen und sie neben Claras auf eine Matte gestellt, die zu diesem Zweck in der Diele liegt. In Tante Hildegards Wohnung und auch in der von Frau Kalthoff ist es üblich, dass Besucher sich - wie in einer Moschee - am Eingang die Schuhe ausziehen und dann auf Strümpfen in der Wohnung herumlaufen, es sei denn, sie haben ihre eigenen Pantoffeln mitgebracht." Buchzitat
"Reise mit Clara durch Deutschland": Eine Geschichte, die wie ein Traum wirkt
Ist Claras Ehemann anfangs nur ihr Assistent, beginnt er nach einiger Zeit selbst zu schreiben und ist schließlich derjenige, der das Buch über die Reise veröffentlicht. Das ist ein lustiger Kniff, eine unerwartete zweite Ebene.
Fernando Aramburus Roman ist die Geschichte einer Reise durch ein Deutschland, das fast wie ein Traum wirkt. Kein Corona, keine gewalttätigen Demonstrationen, eine gewisse Selbstzufriedenheit ist spürbar. Der Autor selbst hat dieses Buch als sein glücklichstes bezeichnet: "'Die Reise mit Clara' handelt eigentlich vom Glück. Besser gesagt von der Frage, wie viel Glück ist uns Menschen der jetzigen Zeit im Alltag erlaubt? Ohne zum Idiot zu werden. (...) Der Protagonist ist ein Sammler von Glücksmomenten. Deswegen kann er auch die Reise genießen.
Reise mit Clara durch Deutschland
- Seitenzahl:
- 592 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt Buchverlag
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00212-1
- Preis:
- 25 Euro €
