Göran Sögard Johannesen von der SG Flensburg-Handewitt © picture alliance/dpa/Axel Heimken Foto: Axel Heimken

Auf in den Norden! Skandinavier verlassen Flensburg und Kiel

Stand: 23.05.2022 16:46 Uhr

Noch vor wenigen Jahren wäre es recht unwahrscheinlich gewesen, dass Spitzenkräfte der SG Flensburg-Handewitt und des THW Kiel die Handball-Bundesligisten Richtung Nordeuropa verlassen würden. Doch die Zeiten haben sich geändert: Aalborg Handbold und Kolstad IL setzen mit ihrer Transferpolitik den deutschen Clubs gehörig zu.

von Christian Görtzen

Drei deutsche Meisterschaften, vier Pokalsiege, fünf Triumphe im Europapokal - darunter als Krönung 2014 die Champions League: Ohne die Dänen wäre der Aufstieg der SG Flensburg-Handewitt zu einer Top-Adresse des Handballs gar nicht denkbar gewesen. Die geografische Lage direkt an der Grenze zum nördlichen Nachbarland war für den Club stets ein großer Vorteil, der aber auch exzellent genutzt wurde.

Immer wieder unterschrieben dänische Topspieler Verträge bei der SG und prägten den Spielstil des Teams. Jan Eiberg Jörgensen, Lars Christiansen, Sören Stryger, Michael Boldsen, Thomas Mogensen, Anders Eggert oder Lasse Svan, der nach dieser Saison seine Karriere beenden wird, sind nur einige davon. Die Danebrog-Transferpolitik des Vereins führte auch dazu, dass die SG Flensburg-Handewitt nördlich der Grenze bei Umfragen nach der beliebtesten dänischen Mannschaft öfters weit vorne landete.

Skandinavier verlassen Flensburg und Kiel

Nun aber droht sich etwas nachhaltig umzukehren. War es stets so, dass sich die SG bei Top-Spielern in Dänemark wie auch in Schweden und Norwegen bediente, geht es jetzt in die andere Richtung. Der dänische Champion Aalborg Handbold und das norwegische Projekt Kolstad IL locken mit schönen Perspektiven auf verschiedenen Ebenen - und das mit großem Erfolg. Die Konsequenz: Flensburg und auch dem Nordrivalen THW Kiel werden herausragende Skandinavier abhanden kommen.

Die "Zebras" verlieren ihren Weltklasse-Torhüter Niklas Landin im Sommer nächsten Jahres an Aalborg, den norwegischen Rückraumspieler Sander Sagosen zum gleichen Zeitpunkt an Kolstad. Dorthin zieht es dann auch seine Nationalteam-Kollegen Magnus Röd und Göran Sögard von der SG. Der dänische Nationalspieler Simon Hald wechselt in zwölf Monaten von dort nach Aalborg.

Damit ist es noch nicht getan: Der schwedische Linksaußen Hampus Wanne geht nach dieser Serie weg aus Flensburg - wenn auch wohl nicht Richtung Norden, sondern womöglich zum FC Barcelona. Und Nationalteamkollege Jim Gottfridsson erklärte kürzlich in der schwedischen Zeitung "Aftonbladet", dass er die SG gerne vor dem Vertragsende 2025 verlassen würde.

Es schmerze deshalb so sehr, weil Röd, Sögard, Hald und Wanne "alle im besten Handball-Alter sind, weil wir sie hier mitentwickelt haben, weil wir ihnen hier die Möglichkeit gegeben haben, sich auf der ganz großen Bühne zu präsentieren", sagte SG-Trainer Maik Machulla. "Sie haben sich auch fantastisch entwickelt, deshalb hätten wir sie auch gerne behalten."

Attraktives Steuermodell in Dänemark

Aber wie machen es Aalborg und Kolstad IL, ein bisher im Mittelmaß der norwegischen Liga angesiedelter Club, den deutschen Top-Adressen die besten Spieler abwerben zu können? Bei Kolstad konnte mit der Vision von einem norwegischen Top-Club in Europa mit Nationalspielern aus dem eigenen Land ein Pool aus finanzstarken Sponsoren aufgebaut werden. Und in Aalborg beschert eine Besonderheit im dänischen Steuersystem manchem Top-Spieler des eigenen Landes (wie Mikkel Hansen von Paris Saint-Germain in diesem Sommer) sehr angenehme Vorteile.

Nur 32 statt 56 Prozent Steuern

Das wird auch im nächsten Jahr für THW-Torhüter Landin so sein. Der 33-Jährige wird genauso wie Hansen in Aalborg in den Genuss eines staatlichen Förderprogrammes kommen - der Forskerordningen. Damit fällt für ihn der Steuersatz von 56 auf 32 Prozent.

"Das erschwert uns natürlich dann auch die Verhandlungen. Und deshalb haben wir definitiv Wettbewerbsnachteile." THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi

Seit einigen Jahren versucht der dänische Staat so, Spitzenkräfte aus dem Ausland ins Land zu holen oder hochqualifiziertes dänisches Personal zurück in die Heimat. Voraussetzungen: ein beruflicher Aufenthalt im Ausland von mindestens zehn Jahren und während dieses Zeitraums ein monatliches Gehalt von umgerechnet rund 9.500 Euro. Landin wechselte 2012 von Bjerringbro-Silkeborg zu den Rhein-Neckar Löwen.

"Da gibt es zum einen Dänemark mit einer speziellen Steuer. Aber genauso andere Länder wie Ungarn, wo es auch ganz starke steuerliche Vergünstigungen gibt", sagte THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi dem NDR. "Das erschwert uns natürlich dann auch die Verhandlungen. Und deshalb haben wir definitiv Wettbewerbsnachteile."

Flensburgs Svan: Auch eine Flucht vor hoher Belastung

Für SG-Profi Svan hat auch die hohe Belastung für die Spieler in der Bundesliga damit zu tun, dass es viele Skandinavier in den Norden zieht. "Wir haben das immer wieder besprochen, aber irgendwie wird da auch nicht zugehört. Dass jetzt so viele Spieler gehen, ist vielleicht ein Zeichen für alle, dass man darauf gucken sollte."

THW-Kreisläufer Patrick Wiencek sieht das ähnlich. "Es ist seit Jahren so, dass wir zu viele Spiele haben, dass wir nicht die Regeneration bekommen, die wir gerne hätten. Statt weniger Spiele wurden es immer mehr", beklagte der Ex-Nationalspieler im NDR Sportclub.

Im Handball sei es schon extrem. "Gefühlt ist es so, dass wir alle dreieinhalb Tage ein Spiel haben, und im Januar steht dann die WM oder EM an. Ich kann verstehen, dass diejenigen Leute, die schon lange hier spielen, zurück in die Heimat in die Nähe der Familie wollen, um dort ein etwas ruhigeres Sportlerleben führen wollen", so Wiencek.

Aalborg mit mehr Pflichtspielen als THW und SG

Allerdings: Bei der bloßen Anzahl der Partien gibt es keinen Unterschied zwischen Aalborg und den Bundesliga-Topteams. Eher im Gegenteil: Der dänische Vorzeigeclub wird es in diesem Jahr auf mindestens 60 Pflichtspiele bringen, beim Einzug ins Finale der Meisterschaft werden es 61 sein. Und das trotz Ausscheidens in der Champions League im Viertelfinale. Stattdessen nahm der Club an der Vereinsweltmeisterschaft teil.

Die SG kommt - auch wegen des frühen Ausscheidens aus dem DHB-Pokal und dem Verpassen des Final Fours in der Champions League - in dieser Serie "nur" auf 53 Pflichtspiele. Beim THW werden es am Ende 57 Pflichtspiele sein.

Wiencek: Qualität der Bundesliga erhöht Belastung

Unabhängig von diesem Vergleich der Pflichtspiel-Anzahl betonte Wiencek die besondere Belastung in der Bundesliga. "Man muss immer alles geben, weil man hier - wie es auch uns passiert ist - gegen den Vorletzten der Tabelle verlieren kann", sagte der 33-Jährige. In anderen europäischen Ligen könnten Spitzenclubs gegen schwächere Gegner immer wieder Spieler schonen. Das führe zu einer geringeren Belastung für die Spieler.

SG hat schon zwei neue Skandinavier verpflichtet

In Flensburg werden sie trotz des derzeitigen Aderlasses an Spielern aus dem Norden weiterhin stark auf die Skandinavien-Karte setzen. Das zeigen schon die Verplichtungen für die kommende Saison. Der Norweger August Pedersen steht als Nachfolger für Wanne bereit, und auf Rechtsaußen kommt Johan Hansen von der TSV Hannover-Burgdorf - ein Däne! Es spricht einiges dafür, dass in unserem nördlichen Nachbarland das Team aus "Flensborg" auch in den nächsten Jahren eine der beliebtesten "dänischen" Mannschaften sein wird.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 22.05.2022 | 22:30 Uhr

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