Freude bei den Handballern aus Saporoschje © IMAGO/Ukrinform Foto: Dmytro Smolyenko

"Akt der Menschlichkeit": Ukrainischer Meister spielt in Deutschland mit

Stand: 09.06.2022 17:23 Uhr

Der ukrainische Handball-Meister HC Saporischschja darf in der kommenden Saison als Gaststarter in der zweiten Bundesliga mitspielen. Das ruft viel Zustimmung hervor. Der Generalsekretär des ukrainischen Handballverbandes hat aber auch Bedenken.

In Rostock mussten sie nicht lange nachdenken, um dem Vorhaben der HBL grünes Licht zu geben. "Der HC Empor Rostock hat nach kurzer Beratung und ohne großes Zögern der Aufnahme Saporischschja in die zweite Handball-Bundesliga zugestimmt", sagte Empors ehrenamtlicher Vorsitzender Tobias Woitendorf dem NDR. "Es ist nicht die Zeit, um Bedenken vor sich herzutragen, sondern Hilfe zu leisten. Und hier kann man ganz konkret Hilfe leisten."

Mit Hilfe leisten für die vom russischen Angriffskrieg terrorisierte Ukraine kennen sie sich bei Empor aus. Der Club hatte sich mit Unterstützung der Stadt bereits dafür engagiert, dass die ukrainische U21-Nationalmannschaft in Rostock aufgenommen werden konnte. "Wenn hier ein weiterer Beitrag geleistet werden kann, dann sollte die zweite Handball-Bundesliga bereit sein, dies zu tun", so Woitendorf.

"Saporischschja ist unter Beschuss der russischen Armee. Es liegt nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt. Wir können hier nicht nur Berufe, sondern auch Leben schützen." HBL-Chef Frank Bohmann

Ist sie, daran lässt HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann keinen Zweifel aufkommen. "Wir wollen ein Zeichen für den Frieden setzen und den Handballern die Möglichkeit geben, ihren Beruf weiter auszuüben." Zugleich wolle man das Team, das nur wenige Kilometer von der Frontlinie beheimatet sei, "vor russischen Raketen schützen". Die Kritik an der überraschenden Aufnahme von Saporischschja ab der kommenden Saison wies der Bundesliga-Boss energisch zurück: "Ja, man kann immer etwas schwarzes und etwas weißes sehen. Diese Sache ist aber tatsächlich ein Akt der Menschlichkeit."

Saporischschja-Team wohnt samt Familien in Düsseldorf

Und hat in seinen Augen auch einen sportlichen Vorteil für die deutschen Zweitligaclubs. "Sie spielen gegen eine Spitzenmannschaft und hätten ansonsten spielfrei. Es gibt auch die Möglichkeit aus dem Heimspiel gegen die Ukrainer, das nun dazu kommt, wirklich etwas zu machen."

Saporischschja ist in der kommenden Saison die 20. Mannschaft der Liga, wird in der Tabelle während der gesamten Spielzeit geführt. Erst zum Saisonende werden die Ergebnisse des Vereins herausgerechnet. Laut Bohmann war ein Mitwirken in Liga eins "aus spielorganisatorischen Gründen" nicht realisierbar: "Die Spielpläne waren lange gemacht, die Hallen gebucht. Zudem haben wir in der Ersten Liga aufgrund der internationalen Verpflichtungen eine viel, viel engere Taktung."

Düsseldorf sorgt für die Unterbringung der Mannschaft und ihrer Familien. Seine Heimspiele wird der ukrainische Meister, der sich durch den deutschen Ligabetrieb die nötige Spielpraxis für die Champions League holen will, im über 3.000 Zuschauer fassenden Castello in Düsseldorf absolvieren.

Lob und Kritik aus der Ukraine

Doch von ukrainischer Seite gibt es auch Kritik an dem eilig zusammen geschusterten Plan. Grundsätzlich gebe es zwei Seiten, die man bei dem Thema beachten müsse, sagte Sascha Gladun, früherer Bundesliga-Profi und jetziger Generalsekretär des ukrainischen Handballverbandes. Sportlich, sozial und menschlich sei "es natürlich eine riesige Geschichte, dass Spieler und Familien in Sicherheit sind und das Team in der stärksten Zweiten Liga der Welt spielen darf", sagte Gladun. Doch wenn man grünes Licht für die Wiederaufnahme der ukrainischen Liga bekomme, "dann starten wir auch. Und dann ist die Frage: Was ist mit Saporischschja?"

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Wegen des Angriffskriegs Russlands ruht der Spielbetrieb in der Ukraine derzeit - und Bohmann rechnet nicht mit einer raschen Veränderung der Faktenlage. "Es scheint ausgeschlossen, dass im kommenden Jahr ein Wettbewerb in der Ukraine aufgenommen wird", so der Liga-Chef: "Es bleibt aber dabei, dass es eine temporäre Lösung ist. Weiter denken wir nicht."

Gladun: "Die Sache ist richtig kompliziert"

Die Saison im deutschen Unterhaus beginnt Anfang September. Nach vereinzelten Gastspielen und Trainingsaufenthalten der Motor-Spieler, aus denen sich zu weiten Teilen die ukrainische Handball-Nationalmannschaft zusammensetzt, werde das "ganz-saisonale Solidar-Projekt" nun durch die Unterstützung der 19 Vereine der 2. HBL getragen, heißt es in einer Pressemitteilung. Gladun ist hingegen ein "bisschen überrascht, dass wir noch keinerlei schriftliche Bestätigungen haben. Ich habe noch kein Dokument gesehen, nicht über die Absicht des Clubs. Nicht über irgendwelche Sitzungen. Und auch noch keinerlei schriftliche Nachweise von der Handball-Bundesliga."

Dem entgegnet Bohmann, dass es eine Entscheidung der Clubs der Zweiten Liga gebe. Die könne man "auf unserer Mitgliederversammlung im Sommer noch einmal formalisieren. Aus unserer Sicht ist es aber dingfest. In der Saison 2022/2023 wird Saporischschja in der zweiten Bundesliga antreten." Ganz so einfach dürfte die Detailplanung der kommenden Tage und Wochen nicht werden - im Gegenteil, glaubt Gladun: "Die Sache ist richtig kompliziert."

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Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 09.06.2022 | 15:25 Uhr

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