Verteidiger Jonas David (l.) und Trainer Tim Walter vom Hamburger SV © Witters

"Viererkette, Fünferkette, Perlenkette": Der HSV und sein Abwehrproblem

Stand: 05.04.2023 12:38 Uhr

Zweitligist HSV hat den direkten Aufstieg nach nur einem Sieg aus den vergangenen fünf Partien nicht mehr in der eigenen Hand. Die Hamburger bieten zwar weiterhin unterhaltsamen Offensivfußball, zeigen im Rückzugs- und Zweikampfverhalten jedoch teilweise eklatante Schwächen.

von Hanno Bode

Beim HSV gab es vor vielen Jahren einmal einen Innenverteidiger, bei dem es oft gar keines Blickes auf den Rasen bedurfte, um zu wissen, dass er am Ball war oder gerade einen Zweikampf bestritten hatte. Sein Name: Cléber Janderson Pereira Reis. Der Brasilianer - übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem aktuellen Hamburger Mittelfeldmann Ludovit Reis - war ein rustikaler Vertreter seiner Zunft.

Das Spielgerät drosch der heute 32-Jährige unter Bedrängnis gerne einmal in den Oberrang des Volksparkstadions. Und die gegnerischen Stürmer bekamen nicht selten seinen Ellenbogen zu spüren. Die einen nannten seine Spielweise konsequent, für die anderen war Cléber Reis schlichtweg unbeholfen.

Wie dem auch sei: Er bestritt von 2014 bis 2017 40 Bundesliga-Partien für den HSV und war hin und wieder trotz seiner fußballerischen Defizite ganz gut. Ein harter Arbeiter wie er - gerne mit ein wenig mehr Technik ausgestattet - fehlt den Hanseaten dieser Tage. Die Abwehr des Aufstiegsanwärters genügt ohne den wegen Epo-Dopings gesperrten Mario Vuskovic keinen höheren Ansprüchen.

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Nur Schonlau hat gehobenes Zweitliga-Niveau

Der im Winter als Ersatz für den Kroaten geholte Spanier Javi Montero ist bis dato eine einzige Enttäuschung. Und Eigengewächs Jonas David kommt auch in dieser Saison trotz regelmäßiger Einsatzzeit nicht richtig in die "Pötte". Somit steht Tim Coach Walter in Kapitän Sebastian Schonlau genau ein zuverlässiger Innenverteidiger zur Verfügung. Dass der Kapitän in zwei der vergangenen drei Partien fehlte, machte sich sofort bemerkbar.

Im Auswärtsspiel beim Karlsruher SC (2:4) war die HSV-Abwehr ohne den 28-Jährigen 45 Minuten lang ein Torso. Es folgten mit ihm ein 0:0 gegen Holstein Kiel sowie in seiner erneuten Abwesenheit nun ein 2:2 bei Fortuna Düsseldorf.

Montero nicht der erhoffte Vuskovic-Ersatz

Gegen die Rheinländer bewarb sich dabei Montero erneut "eindrucksvoll" für das Ende seiner Leihe von Besiktas Istanbul zum HSV im Sommer. Beim 1:1 durch Dawid Kownacki nach einem Eckstoß fehlte ihm das Timing. Vor dem 2:1 der Düsseldorfer von Felix Klaus verlor der Spanier in Höhe der Mittellinie das entscheidende Kopfballduell. Dass der 24-Jährige kurz vor Schluss seine zweite Gelb-Rote Karte in seinem dritten Einsatz für die Hamburger sah, rundete seinen unglücklichen Tag ab.

Sein Team habe "zwei blöde Fehler" gemacht, sagte Walter später, ohne den Namen Montero zu nennen und ihn somit an den Pranger zu stellen. Wäre auch keine sonderlich gute Idee vom 47-Jährigen gewesen. Zum einen hat er die Verpflichtung des Spaniers mitzuverantworten. Zum anderen stellte er den nicht gerade vor Selbstbewusstsein strotzenden Profi gegen die Fortuna als zentralen Verteidiger in einer ungewohnten Abwehr-Dreierkette auf. Zuvor hatte der HSV stets in einer 4-3-3-Formation gespielt.

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Walter: "Wir brauchen Kompaktheit"

Diese taktische Maßnahme war von Walter maximal mutig. Schließlich war die Arbeit gegen den Ball bereits in den Vorwochen oft ein riesengroßes Hamburger Problem gewesen. So mancher Trainer hätte in Anbetracht der Fülle von zugelassenen Torchancen für die meisten Gegner vielleicht sogar wieder den guten alten Libero installiert.

Der stets offensiv denkende Coach ("Die Menschen wollen Spektakel sehen. Der Dino liefert großes Kino") nahm stattdessen einen Verteidiger aus der Kette heraus.

Eine Maßnahme, die nach seiner Ansicht auch aufging. "Wir machen zwei individuelle Fehler, das ist alles. Der Gegner hat keine Torchance, wenn wir es nicht zulassen", sagte Walter. Ohnehin sei das alles keine Frage der Formation, führte er aus: "Es ist immer nur eine taktische Anordnung, wir spielen nach Prinzipien. Und da ist es egal, ob ich mit Viererkette, Fünferkette oder Perlenkette spiele. Wir brauchen eine Kompaktheit, wir gehen nach Prinzipien, wir brauchen Druck auf den Ball. Und wenn wir den haben, bekommen wir auch keine Tore."

Bereits 13 Gegentore nach dem Jahreswechsel

Eine völlig zutreffende Analyse, mit der Walter sogleich das Hauptproblem seines Teams benennt: das Gegenpressing. Denn nach Ballverlusten tun sich bei den Hamburgern häufig große Lücken auf. 13 Gegentore in den neun Partien nach dem Jahreswechsel zeugen vom phasenweise schludrigen Rückzugsverhalten.

Ein Defizit, das vielleicht nicht so ins Gewicht fallen würde, hätte der HSV Top-Verteidiger in seinen Reihen. Selbiges trifft mit Ausnahme von Schonlau, der allerdings auch kaum Chancen auf den Olympia-Sieg beim 100-Meter-Lauf hätte, nicht zu.

Montero (Walter: "Er macht es alles nicht absichtlich") hat wie der Kapitän seine Vorzüge im Spielaufbau, ist aber nicht der resolute Zweikämpfer Marke Vuskovic, den die Hamburger an der Seite von Schonlau bräuchten. Zudem macht sich bisher bemerkbar, dass der Spanier nahezu ohne Spielpraxis aus Istanbul an die Elbe wechselte. Er dürfte nach seiner erneuten Gelb-Rote Karte bei Walter verspielt haben.

Am Sonnabend im Nordduell mit Hannover 96 (13 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) ist der 24-Jährige ohnehin gesperrt.

Eigengewächs David unter Druck

Somit wird gegen die "Roten" voraussichtlich wieder David in die Startelf zurückkehren und an der Seite des zuletzt gesperrten Schonlau im Zentrum verteidigen. Der 23-Jährige hat zwar anders als Montero noch über den Sommer hinaus einen Vertrag beim HSV, scheint bei Walter aber auch nur noch auf Bewährung zu spielen. "Jonas hat eine klare Aufgabe zu erledigen. Das hat er nicht immer getan. Er hat immer mein Vertrauen, weil er immer gespielt hat. Das kann er dann auch zurückzahlen", fordert der Trainer.

Walter: "Wir gucken nur nach vorne"

Der Ton wird vor dem Saisonfinale also ein wenig schärfer beim Tabellendritten. Ein erneutes Scheitern im Aufstiegsrennen würde beim Traditionsclub vermutlich zu einem personellen Erdrutsch führen. Sowohl Walter als auch Sportvorstand Jonas Boldt stünden dann wohl zur Disposition. Ein Neuanfang auf allen Ebenen wäre nach Jahren, in denen finanzieller Aufwand und sportlicher Ertrag in einem krassen Missverhältnis standen, wohl unausweichlich.

Noch aber sind die HSV-Verantwortlichen felsenfest davon überzeugt, in Kürze die ungeliebte Zweite Liga nach dann fünf Jahren verlassen zu können. "Wir gucken nur nach vorne. Wir gucken nicht zurück. Das Wichtigste ist sowieso in uns. Das werden wir in den nächsten Wochen auch zeigen", sagte Walter. Ein Satz, der so merkwürdig klang wie so manch Hamburger Abwehrleistung in diesem Jahr war...

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 05.04.2023 | 19:30 Uhr

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