FC St. Pauli: Ungeschlagener Tabellenführer, aber...

Stand: 11.12.2023 12:05 Uhr

Der FC St. Pauli ist in dieser Saison noch ungeschlagen. Und immer noch 2.-Liga-Tabellenführer. Doch die beiden Remis gegen den HSV und Tabellenschlusslicht VfL Osnabrück lassen die Frage aufkommen, ob die Hamburger sich im Rennen um den Bundesligaaufstieg nicht wieder selbst ein Bein stellen.

von Martin Schneider

"Wir haben es nicht geschafft, die Null zu halten. Wir haben es nicht geschafft, das zweite Tor zu machen. So müssen wir jetzt mit dem Punkt leben", sagte Trainer Fabian Hürzeler etwas missmutig, aber gefasst nach dem späten 1:1-Ausgleich gegen die Niedersachsen. Erneut hatten die Kiezkicker, wie schon im Stadtderby gegen die "Rothosen", eine Führung zur Halbzeit noch aus der Hand gegeben. Statt möglichen sechs holten die Hamburger "nur" zwei Punkte aus den jüngsten Partien.

Die Bilanz bleibt dennoch makellos: Acht Siege, acht Remis und Woche für Woche souveräne Auftritte, Prädikat: Spitzenteam. Doch rächen sich die vielen Unentschieden am Ende der Saison?

Stetige Favoritenrolle und höhere Erwartungshaltung

Aufgrund der seit Monaten anhaltenden Erfolgsgeschichte der Braun-Weißen unter ihrem jungen Trainer Hürzeler hat sich die Erwartungshaltung merklich geändert - im Umfeld, unter den Fans und bei den gegnerischen Teams. Die Favoritenrolle in Ligapartien haben die St. Paulianer angenommen, auch wenn diese nicht immer einfach ist: "Es ist leichter gesagt als getan, von den Spielern zu verlangen, solchem Druck besser gewachsen zu sein", sagte Hürzeler nach der Partie in Osnabrück.

"Wir haben in den letzten Partien zu viel liegen lassen." Hauke Wahl

Dennoch hätten die Hamburger die Partie in der ersten Halbzeit entscheiden müssen. Nach der frühen Führung waren die Braun-Weißen drückend überlegen, die Hausherren kamen über 25 Minuten nicht aus ihrer eigenen Hälfte heraus. Doch St. Pauli nutzte seine zahlreichen Torchancen nicht. Und es war im strömenden Dauerregen an der Bremer Brücke für jeden absehbar, dass der immer schlechter werdende Platz den spielerisch versierten Gästen nicht in die Karten spielen wird. Das Kampfspiel, was es hernach wurde, nahmen allerdings nur die Niedersachsen an.

Ruht sich St. Pauli zu früh aus?

Dass St. Pauli den berühmten Deckel nicht auf die Spiele macht und den Gegner mit Passivität zurückholt ist ein Muster der vergangenen Ligapartien. Schon gegen Hansa Rostock hätten die Kiezkicker die Partie früh ob der der zahlreichen hochkarätigen Chancen mit vier oder gar fünf eigenen Treffern für sich entscheiden können, am Ende wurde es ein 3:2-Zittersieg. Gegen den HSV reichte bei stärker werdendem Schneefall am heimischen Millerntor eine 2:0-Führung zur Halbzeit auch nicht für den Derbysieg. Das 1:1 in Osnabrück passt in dieses Bild.

Ruht sich St. Pauli zu früh aus oder können sie einfach nicht bei Schmuddelwetter? "Für uns geht es um jedes Spiel. Und da haben wir in den letzten Partien zu viel liegen lassen", haderte Abwehrspieler Hauke Wahl. Auch Marcel Hartel ordnete den bisherigen Saisonverlauf selbstkritisch ein: "Man muss aber auch sagen, dass wir solche Spiele nicht verlieren, aber einige von diesen Remis hätten wir auch gewinnen können."

Beispiellose Erfolgsgeschichte unter Trainer Hürzeler

Aus der Sicht des Ligaprimus ließe sich dies auch als "Luxusproblem" bezeichnen. Vor einem Jahr war der Club nah an den Abstiegsplätzen und schaffte es, durch eine Zehn-Spiele-Siegesserie in der Rückrunde bereits in der vergangenen Saison noch, oben anzuklopfen.

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Rund um den Club nimmt aktuell dennoch niemand das Wort "Aufstieg" in den Mund, Hürzeler spricht beharrlich von "vielen Punkten und Details, auf die wir weiter eingehen werden und wo wir uns weiterentwickeln müssen". Die zusätzliche Belastung durch den Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale durch den Sieg unter der Woche beim FC Homburg oder die Platzverhältnisse wollte keiner der Hamburger als Ausrede für die neuerlichen Punktverluste geltend machen.

Schatten der jüngeren Vergangenheit wirkt nach

Vielmehr schaut St. Pauli auf sich. Was auch in der jüngeren Vereinsgeschichte begründet liegt. Vor zwei Jahren führte Wintermeister St. Pauli, damals noch unter Trainer Timo Schultz und Assistent Hürzeler, die Tabelle vor Weihnachten mit neun Punkten Vorsprung an. Im letzten Spiel vor der Winterpause kassierten die Hamburger am 17. Dezember 2021 allerdings eine deftige 0:3-Pleite bei Holstein Kiel - was zum Omen für die Rückrunde wurde.

Die Kiezkicker leisteten sich zahlreiche Punktverluste, häufig gegen Teams aus der unteren Tabellenregion, oft auf schwerem Geläuf. Am Ende verspielten sie den Aufstieg und wurden nur Fünfter. Spieler wie Hartel, Torhüter Nikola Vasilj und Jackson Irvine gehörten damals bereits zur Stamm-Elf und kennen das Gefühl, der Gejagte zu sein. Und auch das Gefühl, noch abgefangen zu werden.

Kiel, HSV, Hertha - wer mischt bis zum Ende oben mit?

Auch in dieser Saison schläft die Konkurrenz nicht: Der HSV gilt trotz des Patzers gegen Paderborn nach wie vor als einer der Aufstiegsfavoriten, Kiel hat nach dem 1:0 bei Fortuna Düsseldorf zu den Braun-Weißen punktemäßig aufgeschlossen. Hinzu kommen die Bundesliga-Absteiger Hertha BSC und, mit deutlichen Abstrichen, auch Schalke 04, die nach schwachem Saisonstart mittlerweile gefestigt wirken. Wie schnell es in der engen 2. Liga mit einer Erfolgsserie nach oben gehen kann, weiß St. Pauli am besten.

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"Aus heute können wir viele Lehren ziehen", sagte der australische Kapitän der Braun-Weißen Irivine am vergangenen Sonnabend und gab damit die Richtung für das letzte Spiel des Kalenderjahres gegen Wehen Wiesbaden vor. Mit einem Heimsieg am Sonntag (13.30 Uhr, im NDR Livecenter) würde der FCSP sich erneut zum Herbstmeister kühren und könnte den Abstand auf einen Nicht-Aufstiegsplatz von aktuell vier Punkten halten oder gar ausbauen.

Wehen Wiesbaden als Charaktertest

Die formschwachen Hessen reisen mit drei Niederlagen in Folge, zuletzt 1:3 gegen Eintracht Braunschweig, ans Millerntor. Und sind dennoch nicht zu unterschätzen: Auswärts konnte das Team von Ex-St.-Pauli-Trainer Markus Kauczinski bisher dreimal gewinnen und hat zudem 21 Punkte auf dem Konto. Doch der Favorit wird ganz klar wieder St. Pauli sein - eine Charakterprobe. Denn gegen Wiesbaden haben die Braun-Weißen die große Chance, ein deutliches Zeichen an die Konkurrenz im Rennen um den Aufstieg in die Bundesliga zu setzen.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 10.12.2023 | 22:50 Uhr

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