Was will Amazon sein: Verkäufer oder Plattform?
Der Online-Experte und Wissenschaftler Gerrit Heinemann, Professor für e-commerce, bezeichnet den Online-Riesen Amazon als "Killermaschine". Groß und mächtig gemacht haben wir sie: die Kunden. Der Marktwert beträgt rund eine Billion Dollar. Kann und soll man die "Macht-Maschine" Amazon 25 Jahren nach ihre Gründung überhaupt noch stoppen?
Ein Kommentar von Jörg Marksteiner, WDR Wirtschaftsredaktion

Wenn es um einen neuen Fernseher geht oder um einen neuen Kühlschrank, Rucksack oder Toaster, schauen Sie dann auch erst einmal bei Amazon nach, was ein gutes Modell kostet und was andere Kunden schreiben? Oder versuchen Sie Amazon zu vermeiden, um den lokalen Handel zu unterstützen oder aus Protest gegen die Pakete-Flut oder den Umgang mit den Mitarbeitern?
Die Revolution des Einkaufens
Tatsächlich gibt es kaum ein Unternehmen, das nur 25 Jahre gebraucht hat, um so zu polarisieren und gleichzeitig unsere Art des Einkaufens so komplett zu verändern. Das kann man beeindruckend finden oder beängstigend oder auch beides.
Fakt ist aber: Wenn wir heute vom Einkaufen im Internet sprechen, müssten wir in den meisten Fällen ehrlicherweise Amazon sagen, denn jeder zweite Euro, der beim Online-Shopping hierzulande ausgegeben wird, landet direkt bei Amazon oder auf seinem Marktplatz. Und doch sind es gar nicht so sehr die Amazon-Milliardeneinnahmen durch den Online-Verkauf, unter denen viele Konkurrenten, Läden und Innenstädte inzwischen so leiden.
Vom Verkäufer zur Plattform
Sicher: Amazon hat es geschafft, die Konkurrenz mit technischen Neuheiten und aggressivem Marketing unter Druck zu setzen. Da sind die personalisierten Empfehlungen, hohe Liefergeschwindigkeiten, demonstrative Kulanz und im Hintergrund immer eine riesige Finanzkraft.
Doch am Ende steckt hinter all dem für die Konkurrenz noch eine viel bedrohlichere Strategie: Dem Konzern ist es nämlich gelungen, so viele Kunden durch immer neue Zusatzangebote und Dienste anzulocken und zu binden, dass der einstige Buchhändler Amazon inzwischen von vielen gar nicht mehr nur als Verkäufer, sondern ganz allgemein als Einkaufsplattform wahrgenommen wird. Jeder Zweite, das sagen seriöse Schätzungen, nutzt heute nicht mehr Google, sondern Amazon, wenn es darum geht, nachzugucken, welche Modelle und Varianten eines Artikels es gibt, was er kosten darf und wie andere Kunden die Qualität bewerten.
Amazons Macht
Amazon als Informationsquelle, Ratgeber, Marktplatz und Verkäufer in einem. Was dort nicht auftaucht, das existiert für viele schlicht nicht mehr. Das ist die wahre Macht von Amazon - und die ist auch aus Kundensicht nicht gut. Denn notgedrungen werden immer mehr Konkurrenten auch auf dem Amazon-Marktplatz verkaufen, was den Multi noch stärker macht.
Ein sich selbst verstärkendes Phänomen und möglicherweise nur die Blaupause für Angriffe auf weitere Branchen. Heute geht es ums Einkaufen, ja, aber morgen schon könnte es auch Bankkonten bei Amazon geben, Versicherungen, Auto-Verleih oder Arzneien.
Geschäftsmodell muss kritisch betrachtet werden
Natürlich: Man kann einem Unternehmen nicht vorwerfen, dass es innovativ ist, Kundenwünsche richtig erspürt und erfolgreich Daten auswertet. Aber nach 25 Jahren und bei so viel Marktmacht als Plattform, denke ich, ist es höchste Zeit, dass Kartellamt und EU-Behörden das Geschäftsmodell kritischer betrachten. Amazon sollte sich entscheiden, was es denn nun eigentlich sein will: Verkäufer oder Plattform.
