Zeitreise: Der Untergang des Segelschulschiffs "Pamir"

Stand: 21.07.2023 15:02 Uhr

Vor 65 Jahren blickte die Welt auf Lübeck. Dort begann die Verhandlung um den Untergang des Segelschulschiffes "Pamir". Noch heute erinnern sich Zeitzeugen an das weltweite Medieninteresse.

von Julia Lindenau

Die Fotos fein säuberlich aus der Zeitung ausgeschnitten und aufgeklebt. Untereinander - mit Platz für Autogramme. Denn für sie waren sie sozusagen Stars: die Überlebenden des Segelschulschiffes "Pamir". Evelyn Ghatak, damals hieß sie noch Meyburg, wollte die jungen Männer mit eigenen Augen sehen, sie einmal live erleben. 1958 ging die damals 14-jährige Lübeckerin am 9. Januar zusammen mit einer Freundin ins Lübecker Rathaus, unterm Arm ihr Tagebuch und machte Jagd auf Unterschriften. Es war einer der Tage, an dem vor dem Lübecker Seeamt der Untergang der "Pamir" verhandelt wurde.

Frachtsegler 1957 im Atlantik gesunken

Der Frachtsegler war am 21. September 1957 während eines Hurrikans im Atlantik gesunken, 80 Besatzungsmitglieder starben, nur sechs junge Männer überlebten, wurden erst nach Tagen gerettet - ein Trauma. Bis heute ist die Unglücksursache umstritten. Wurde die "Pamir" falsch geführt? Oder war das Schiff gar nicht mehr seetüchtig?

Eine Frau steht mit einem Buch in der Hand an Deck der "Passat". © NDR
Evelyn Ghatak auf Heimatbesuch in Lübeck. Sie ist Zeitzeugin, war bei der Verhandlung im Rathaus dabei.

Das Medieninteresse an der Seeamtsverhandlung sei damals riesig gewesen, erinnert sich Evelyn Ghatak. Die Fotos der Überlebenden, die sie fein säuberlich in ihr Tagebuch geklebt hat, gingen um die Welt. Gerade ist sie zusammen mit ihrem Mann auf Heimatbesuch im Raum Lübeck. Seit Langem lebt die Lübeckerin schon in Ohio in den USA, kommt aber regelmäßig nach Schleswig-Holstein.

Großes Medieninteresse um Verhandlung des "Pamir"-Untergangs

Auf der "Passat" in Travemünde, dem Schwesternschiff der 1957 gesunkenen "Pamir", begibt sie sich auf Spurensuche. Hartmut Haase zeigt ihr die Geschichten hinter den Fotos. Er leitet das Archiv des Vereins "Rettet die Passat" und kann sich noch gut an die Prozesstage erinnern, obwohl er damals noch ein kleiner Junge war. "Wir haben uns natürlich gefragt, was ist denn da los, als wir von der Schule kamen und den riesigen Auflauf vorm Rathaus gesehen haben", erinnert er sich.

Das ganze Ausmaß der damaligen Medienberichterstattung findet sich jetzt im Bauch der "Passat", im Archiv des Vereins: Mengen an Zeitungsartikeln und historischem Material über eines der größten Unglücke nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Es war damals eine der umfangreichsten Rettungsaktionen auf See, die es bis dahin gegeben hatte. Rund 80 Schiffe aus mehr als zehn Ländern suchten sieben Tage lang nach den Vermissten. Auch Flugzeuge kamen zum Einsatz.

Mahnmal in der Seefahrerkirche St. Jakobi in Lübeck

In der Lübecker Seefahrerkirche St. Jakobi steht ein Rettungsboot der gesunkenen "Pamir". © NDR
Ein zerborstenes Rettungsboot als Mahnmal für die 80 ertrunkenen Passagiere der "Pamir".

Zusammen mit seinem Vater klebte Stefan Schmidt damals förmlich am Radio und verfolgte die Berichte über das Schiffsunglück und die Rettungsaktion. Der heutige Flüchtlingsbeauftragte des Landes und Kapitän a.D. hatte damals schon den festen Wunsch, zur See zu fahren und heuerte 1958, ein halbes Jahr nach der "Pamir"-Katastrophe, in Travemünde als Schiffsjunge an. Er erzählt: "Ich habe damals alles mit großer Anteilnahme verfolgt. Meine Entscheidung zur See zu fahren, hat das aber nie beeinflusst. Ich erinnere mich nicht, auch nur einen Augenblick Angst gehabt zu haben." Ganz losgelassen hat ihn das Schicksal der Seeleute aber nicht. Immer, wenn er in die Lübecker Seefahrerkirche St. Jakobi geht, dort, wo eines der zerborstenen Rettungsboote der "Pamir" als Mahnmal liegt, gedenkt er der 80 Ertrunkenen.

Und auch Evelyn Ghatak, die damals aus Schwärmerei auf Autogrammjagd ging, erlebt das Ausmaß der "Pamir"-Katastrophe heute - 65 Jahre später - nochmal neu. Die Fotos der Überlebenden, fein säuberlich eingeklebt und unterschrieben, sind ihr ganz persönliches Zeitdokument.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 23.07.2023 | 19:30 Uhr

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