Verschwindet regionales Obst und Gemüse aus dem Supermarkt?

Stand: 18.01.2023 21:30 Uhr

Der Bauernverband schlägt Alarm: Heimisches Obst und Gemüse seien nicht mehr konkurrenzfähig. Der Grund: Mindestlohn und Energiekosten. Doch wie viel macht das aus? NDR.de hat nachgerechnet.

von Peer-Axel Kroeske

Heimisches Obst und Gemüse könnten bald in den Supermarktregalen fehlen - diese Aussage von Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied schlug am Wochenende Wellen. Er bezog sich dabei insbesondere auf Erdbeeren und Spargel. Produkte, deren Anbau und Ernte viel Energie oder Arbeitskraft benötigen, verteuern sich durch hohe Energie- und Lohnkosten. Gewächshäuser stünden zum Teil leer, sagte der Verbandsvertreter. Der Bauernverband in Schleswig-Holstein teilt die Sorgen. Auch Himbeeren und Äpfel seien betroffen, heißt es von dort.

Mindestlohn: Bis zu 60 Cent Aufschlag pro Kilogramm Spargel

Der Mindestlohn liegt in Deutschland mit zwölf Euro europaweit an der Spitze. In Spanien werden offiziell rund sechs Euro gezahlt, in Polen und Griechenland knapp vier Euro. Andererseits ist der Lohnanteil am Preis für die Verbraucher eher gering. Beispiel Spargel: Erntehelfer kommen auf zehn bis 20 Kilogramm pro Stunde. Sie werden in Südeuropa oft nach Leistung bezahlt. Bei einem Lohnunterschied von sechs Euro pro Stunde sorgt das besonders arbeitsintensive Stechen damit für bis zu 60 Cent Mehrkosten in Deutschland am Kilo Spargel. Hinzu kommen Lohnanteile für alle weiteren Arbeitsschritte. Verbraucher zahlen für deutschen Spargel 10 bis 20 Euro pro Kilo.

Bauernverband fordert Zölle für Import von außerhalb der EU

Landwirte berichten, dass Supermarktketten den Preis durch den Einkauf großer Mengen Import-Waren drücken. Zölle sind nur für Länder außerhalb der EU möglich. Darauf drängt der Bauernverband. Andererseits spielt der Import beim Spargel bisher nur eine untergeordnete Rolle: Deutsche Ware hatte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2021 einen Anteil von 83 Prozent.

Gewächshäuser spielen nur kleine Rolle

Energiekosten belasten insbesondere die Gewächshäuser. Wenn sie beheizt werden, können sie die klimatischen Nachteile des Nordens ausgleichen. Die größten Anlagen in Schleswig-Holstein stehen in Hemmingstedt (Kreis Dithmarschen). Hier wachsen nach Angaben des Betreibers Vitarom Paprika und Tomaten. Genutzt wird die Abwärme der Raffinerie. Andere Gewächshäuser verwerten die Abwärme von Biogasanlagen. Nach Angaben des Statistikamtes Nord wurden 2020 etwa 12 Prozent der in Schleswig-Holstein geernteten Erdbeeren in Gewächshäusern oder unter begehbaren Schutzabdeckungen geerntet, also ebenfalls nur ein kleiner Anteil.

Regionale Produkte profitieren von höheren Transportkosten

Die höheren Preise für Diesel, Dünger und Gas belasten Landwirte in ganz Europa. Hier gelten in allen Ländern derzeit unterschiedliche Preisbremsen. Regionale Produkte profitieren dabei tendenziell von hohen Energiepreisen. Vor der Energiekrise kostete der Transport von Obst und Gemüse von Spanien nach Deutschland bereits 18 Cent pro Kilo, schätzt der Exportverand FEPEX.

Agrarwissenschaftler: Obst und Gemüse aus SH könnte tatsächlich verschwinden

Dass der Obst- und Gemüseanbau aus Schleswig-Holstein langfristig drastisch zurückgeht, halten die Wissenschaftler Martin Braatz und Holger Thiele von der Fachhochschule Kiel dennoch für möglich. Beide sind Professoren für Agrarökonomie. Neben Energie- und Lohnkosten sehen sie auch hohe Umweltstandards als Kostenfaktor. Bessere Preise für die Produzenten ließen sich nur noch in der Direktvermarktung erzielen, allerdings in kleinem Rahmen. Auf den üblichen Absatzwegen kommt immer weniger bei den Erzeugern an. Bei Kartoffeln waren es nach Berechnungen des Thünen-Instituts 1971 noch 58 Prozent, 2021 nur noch 23 Prozent.

Supermarktbetreiber setzt auf deutsche Produkte

Die Supermarktkette REWE teilt auf Anfrage von Schleswig-Holstein mit, sie plane "in dieser Erdbeer- und Spargel-Saison mit komplett denselben regionalen Erzeugern und deren vollem Lieferumfang." Das Unternehmen halte weiterhin an der Priorisierung heimischer Ware bei der Beschaffung fest und werde die entsprechende Strategie dahingehend sogar verstärkt weiterverfolgen. ALDI Nord bekennt sich zur Qualität deutscher Produkte, verweist aber auf den Zwischenhandel. In der Flensburger Neustadt beobachtet Leon Hoyer vom Leitungsteam des EDEKA-Marktes täglich, wie die Preise anziehen, etwa für Paprika oder den Eisbergsalat. Möhren aus Deutschland verbilligen sich dagegen, berichtet er. Er setzt weiterhin auf deutsche Produkte. Wie sich die Lage entwickelt, sei aber bisher kaum abzusehen. Und bis die Spargel- und Erdbeersaison beginnt, dauert es noch ein paar Monate.

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Schleswig-Holstein Magazin | 18.01.2023 | 19:30 Uhr

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