Unruhe im Wald - Unterwegs mit der Jagdaufseherin

Stand: 14.10.2023 06:00 Uhr

Bei ihrer Runde durchs Revier beobachtet Jagdaufseherin Birgit Nöh im Wald immer öfter Störungen durch den Menschen. Die Folge: Rudel werden auseinandergetrieben - im schlimmsten Fall auf die Straßen.

von Lena Haamann

Auf ihrem täglichen Rundgang durchs Revier bleibt Jagdaufseherin Birgit Nöh an diesem Morgen mit ihren beiden Hunden zuerst an einer kleinen Lichtung stehen und zückt ihr Fernglas. Neben ihr: Ein Schild mit der Aufschrift "Wildruhezone". Denn hier sammeln sich jetzt zu Beginn der Brunftzeit die Hirsche. Aber dabei werden die Tiere immer öfter gestört. "Es sind viele Pilzsucher unterwegs, die die Pilze abseits der Wege vermuten. Oder Mountainbiker, die gerne querfeldein fahren", erzählt Birgit Nöh. "Jeder denkt, er sei der einzige, aber weil ich jeden Tag hier unterwegs bin, weiß ich: Es sind viele." Vor allem seit Corona. An sich freut sich die Jagdaufseherin über die Waldbesucher, sagt sie. Aber nur, solange sie sich an die Regeln halten.

"Ist der Druck zu groß, rennen die Tiere auch auf die Straße"

In ihrem 370 Hektar großen Revier im Kreis Segeberg begegnen ihr regelmäßig auch Hunde ohne Leine, Geocacher und sogar Motocrossfahrer. Das haben auch Wildkameras aufgezeichnet. An einem großen Heidefeld begutachtet die Jagdaufseherin den Untergrund. Im Gras haben sich deutlich Reifenspuren abgezeichnet. "Die könnten von einer Motocrossmaschine stammen", glaubt Nöh. Durch solche massiven Störungen werden die Tiere hin und her gehetzt, beobachtet sie. "Wir haben hier viele Damwild-Kälber, die dann im Zweifelsfall ihre Mutter verlieren", sagt sie. Im schlimmsten Fall flüchten die Tiere auf die Straßen. Birgit Nöhs Revier grenzt unter anderem an eine Bundesstraße. "Gerade vor einer Woche haben wir einen großen Hirsch von der Straße holen müssen, der in ein Auto gelaufen ist", so Nöh weiter.

Mit dem Quad über die Wildbrücke

Auch in anderen Wäldern in Schleswig-Holstein sind Störungen durch den Menschen mittlerweile zum Problem geworden, beobachtet Frank Zabel, Wildbiologe vom Landesjagdverband: "Wir stellen landesweit fest, dass die Menschen die Grenzen nicht mehr respektieren, dass sie Wildschutzgebiete betreten und selbst vor der Nutzung von Wildbrücken keinen Halt machen." Reiter, Mountainbiker oder Quadfahrer nutzen sie, um die Straßen zu überqueren.

An der Wildbrücke in Brokenlande (Kreis Segeberg) verrichten Lkw-Fahrer sogar ihre Notdurft, weil es auf dem angrenzenden Parkplatz keine Toilette gibt. "Das ist extrem problematisch, weil die Tiere sehr geruchssensibel sind. Sie riechen den Menschen noch Tage später und nehmen die Brücken nicht mehr so gut an - oder meiden sie ganz", erklärt Zabel. Die fünf Wildbrücken im Land sind extra gebaut worden, damit vor allem Rothirsche auf der Partnersuche wandern können. Ansonsten drohen Missbildungen durch Inzest und langfristig sogar ihr Aussterben.

"Ich freue mich über jeden Menschen, den ich erreichen konnte"

Auch das Revier von Birgit Nöh grenzt an eine Wildbrücke. Ihre Aufgabe als Jagdaufseherin ist es auch, die Menschen im Wald auf ihr Fehlverhalten anzusprechen. Nicht alle reagieren mit Verständnis, sagt sie. Aber für die anderen lohne es sich. "Ich bin Idealistin, und freue mich über jeden einzelnen Menschen, den ich erreichen konnte." Denn Schleswig-Holstein ist das Bundesland mit den wenigsten Waldflächen. Umso wichtiger ist es, dass die Wildtiere in den wenigen verbliebenen Rückzugsorten in Ruhe leben können.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 16.10.2023 | 19:30 Uhr

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