Stand: 29.09.2015 20:31 Uhr

Flüchtlinge: Schulen am Limit

von Alena Jabarine & Esra Özer

Am frühen Morgen vor dem Schulbüro der Klosterhofschule in Itzehoe. Etwas verloren steht ein syrischer Mann mit seinem Sohn vor dem Schreibtisch der Schulsekretärin. Vom Sozialamt hat der Mann einen Zettel mit der Adresse der Schule in die Hand gedrückt bekommen. Sein 14-jähriger Sohn Yamen soll ab heute hier zur Schule gehen.

VIDEO: Flüchtlinge: Schulen am Limit (7 Min)

Schulpflicht beginnt mit Deutsch als Zweitsprache

Yamen, ein 14-jähriger Schüler aus Syrien. © NDR
Der 14-jährige Yamen an seinem ersten Schultag in Itzehoe.

Schulleiter Gerd Freiwald muss nun flexibel reagieren. Denn eigentlich gibt es an seiner Schule keinen Platz mehr. Momentan kommen hier fast täglich neue Schüler an. Flüchtlingskinder, die die Erstaufnahme bereits verlassen haben. Mit Einzug in die Folgeunterkunft sind sie schulpflichtig und müssen auf eine Schule in ihrer Umgebung verteilt werden. Dort sollen sie dann ein Jahr intensiv DaZ (Deutsch als Zweitsprache) lernen; in speziell eingerichteten DaZ-Klassen.

Doch im Kreis Steinburg gibt es davon nur acht, eine davon an der Klosterhofschule in Itzehoe. Jedes Kind aus der Umgebung wird also hier hergeschickt. Eine Herausforderung, erzählt Freiwald, die sowohl Lehrern als auch Schülern viel Flexibilität abverlangt: "Die Schüler werden dann einfach mit in die Klasse genommen und dann steht der Lehrer, der dort unterrichtet, auf einmal vor zwei Schülern mehr, und muss gucken, wie er damit umgeht.“

Dankbare Aufgabe - aber sehr viele Schüler

Jochen Keßler ist einer der wenigen, die bislang die Fortbildung für DaZ erworben hat. Ausländischen Kindern Deutsch beizubringen sei eine dankbare Aufgabe, so Keßler. Die meisten Kinder seien engagiert und hätten große Lust, die neue Sprache zu lernen: "Schwierig ist aber, dass ich vorher nichts über sie weiß. Nur ihren Namen und wo sie herkommen. Aber was die schon können, ob sie überhaupt schon jemals eine Schule besucht haben, das muss ich dann alles hier im Unterricht herausfinden", berichtet Keßler.

Sich wirklich auf einzelne Kinder einzulassen, sei mittlerweile kaum noch möglich. Fast immer ist Keßler die einzige Lehrkraft in der DaZ-Klasse, muss sich manchmal täglich auf neue Schüler einstellen. Und die Räumlichkeiten der Klosterhof-Schule sind begrenzt. Aus Platznot wurden die 30 DaZ-Kinder nun aufgeteilt. Während die eine Hälfte bei Jochen Keßler im Sprachunterricht sitzt, besucht die andere Hälfte den normalen Unterricht.

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Esra Özer © NDR Foto: Jann Wilken

Esra Özer

Esra Özer beschäftigt sich bei Panorama 3 mit sozialen Themen und Missständen. Schreiben Sie ihr! mehr

Keine Chance in Geschichte

Der 13-jährige Hadi ist vor einigen Wochen mit seiner Familie aus Syrien gekommen und macht beim Deutsch-Unterricht große Fortschritte. Nun aber sitzt er im Geschichtsunterricht der Klasse 6a. Thema: Industrialisierung. Von DaZ-Lehrer Keßler hat Hadi Arbeitszettel mitbekommen. Über denen grübelt er, während sich die anderen mit der Entwicklung der Dampfmaschine beschäftigen. Für Hadi sind die Stunden in der Regelklasse häufig frustrierend: "In Englisch und Mathe kann ich ja zumindest mitmachen. Aber in Fächern wie Sozialkunde verstehe ich natürlich nichts."

29 Kinder sitzen in der Regelklasse. Dass nun Flüchtlingskinder hinzukommen, die kein kaum ein Wort Deutsch sprechen, ist für Lehrerin Elena Scheffel eine Belastung. Sie hofft auf die Einrichtung neuer DaZ-Zentren. Denn dann könnte ein Teil der Flüchtlingskinder, die jetzt noch bei ihr an der Klosterhofschule sind, an anderen Schulen untergebracht werden.

Neue Lehrer müssen her

Flüchtlingskinder müssen Deutsch als Zweitsprache lernen. © NDR
"Professionell reagieren": Schulleiter Freiwald sieht die Dinge pragmatisch.

Tatsächlich sollen bereits nach den Herbstferien zwei neue DaZ-Klassen in der Umgebung entstehen. Sorgen macht sich Schulleiter Freiwald aber dennoch, denn zwei neue DaZ-Zentren werden langfristig nicht reichen. Das Bildungsministerium in Kiel hat zum 1. Februar bis zu 80 zusätzliche Lehrerstellen versprochen. Das ist aber erst in mehreren Monaten. Bis dahin muss Gerd Freiwald sich selbst was überlegen: "Wir müssen uns mit dem abfinden, was passiert und daraus das Beste machen. Wir gehören auch nicht zu denen, die klagen und meckern und dabei stehenbleiben. Letztendlich geht es ja auch um die Kinder, die hier ankommen."

Wie viele Flüchtlingskinder in den kommenden Monaten dazukommen werden, kann momentan noch keiner abschätzen. Schulleiter Gerd Freiwald wird versuchen, sie alle bei sich aufzunehmen. Erst gestern hat er zehn neue Tische und Stühle bestellt.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.09.2015 | 21:15 Uhr

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