Endstation Grenze: Welche Bahn fährt künftig nach Dänemark?

Stand: 24.07.2023 20:08 Uhr

Dänemark wird im Regionalverkehr künftig keine Züge mehr über die Grenze schicken. Das Land Schleswig-Holstein könnte einspringen. Die Menschen im Grenzland werden künftig häufiger umsteigen müssen.

von Simone Mischke, Jörn Zahlmann, Jörg Jacobsen

An Gleis 1 im Flensburger Bahnhof starten und enden die Züge nach Dänemark. Tagsüber fährt die Dänische Staatsbahn (DSB) von hier aus alle zwei Stunden in Richtung Norden. Mit nur einem Umstieg sind Großstädte wie Aarhus oder Kopenhagen in rund drei Stunden zu erreichen. Doch das wird sich ab 2028 ändern. Die DSB hat für diese Verbindung neue Züge bestellt, die technisch nicht mehr in der Lage sind nach Deutschland zu fahren. "Das ist ein Riesen-Rückschritt", sagt Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. "Wir sollten natürlich besser da drin sein, die Angebote der Länder miteinander zu kombinieren."

Dänische Züge enden in Dänemark

Coradia Stream. © DSB
Die 100 neuen Züge vom Typ Coradia Stream können ausschließlich in Dänemark fahren.

Die DSB wird mit ihren neuen IC5-Zügen künftig vor der Grenze auf ein anderes Gleis wechseln und zum Sackbahnhof am Alsensund in Sonderburg fahren - anstatt wie derzeit alle zwei Stunden nach Flensburg. Der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Madsen sieht als Ursache vor allem innenpolitische Gründe in Dänemark: "Der dänische Verkehrsminister möchte innerhalb von Dänemark schnelle, gute Anbindungen haben und hat vielleicht nicht für sich den großen Mehrwert darin erkannt, wie wichtig das ist, dass wir auch über die Landesgrenzen hinaus miteinander gut zusammenarbeiten." Das Ministerium in Kopenhagen wollte sich auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein nicht dazu äußern.

Kleinstadt könnte wichtigster Bahnhof werden

In der Kleinstadt Tingleff trennen sich die Gleise. Das eine führt nach Flensburg, das andere nach Sonderburg. Möglicherweise wird der Ort mit nicht einmal 3.000 Einwohnerinnen und Einwohnern künftig der wichtigste Umsteigebahnhof im Grenzland werden. Wer aus Dänemark kommt und nach Flensburg oder Umgebung will, müsste dort aussteigen. Fahrgäste aus dem Grenzland mit Zielen in Dänemark könnten erst hier in die dänischen Züge einsteigen. Laut Nahverkehrsgesellschaft NAH.SH saßen im vergangenen Jahr im Durchschnitt 43 Reisende in den Zügen, wenn sie über die Grenze rollten.

DK und SH setzen auf denselben Zug

Dänemark hat beim Hersteller Alstom 100 Züge vom Typ Coradia Stream bestellt, die ausschließlich im dänischen Bahnnetz fahren können. Auf deutscher Seite läuft der Bestellvorgang gerade. Am Montag teilte die Verkehrsgesellschaft NAH.SH mit, dass Alstom auch in Schleswig-Holstein den Zuschlag erhalten hat, 40 neue Elektrotriebzüge zu bauen. Es geht ebenfalls um das Modell Coradia Stream - allerdings in einer Version mit mehr Sitzplätzen. In diesem Auftrag ist nach Angaben von Minister Madsen als Option festgehalten, dass bis zu 23 Fahrzeuge so ausgestattet werden, dass sie in Deutschland und Dänemark fahren können. Diese Züge brauchen einen Trafo, der die unterschiedlichen Spannungen in beiden Ländern verarbeiten kann, und eine veränderte Software.

Wie nach Tingleff kommen?

Die Verkehrsplaner aus Schleswig-Holstein überlegen, den RE 7 von Hamburg bis ins beschauliche Tingleff rollen zu lassen - um so sicherzustellen, dass überhaupt noch Züge über die Grenze rollen, die auch im Grenzland anhalten. "Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes", sagt Stefan Seidler, der Bundestagesabgeordnete vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW). "Es wird dann ein künstlicher Halt gemacht. Das ist keine attraktive Lösung."

Madsen: "Haben keine bessere Lösung"

Innenansicht vom Alstom Coradia Stream. © Alstom Advanced & Creative Design
Die neuen Züge des Landes könnten ab 2028 bis nach Dänemark fahren.

Der SSW-Abgeordnete hat offene Briefe an die zuständigen Verkehrsminister in Kopenhagen und Kiel geschickt. Für die dänische Minderheit, die der SSW unter anderem vertritt, ist der grenzüberschreitende Bahnverkehr nach Dänemark ein besonderes Anliegen. "Hier hakt es jetzt ganz gewaltig. Man kann den Leuten nicht vorgaukeln, dass die deutsch-dänische Zusammenarbeit wunderbar funktioniert, wenn es bei so einer - für manche vielleicht banal aussehenden - Sache im Bahnverkehr dann nicht mehr funktioniert", sagt Seidler im NDR Interview. Für den SSW-Abgeordneten wäre die Weiterfahrt des RE 7 bis Tingleff allenfalls eine Art Notlösung: "Es wird dann längere Fahrzeiten geben. Das wird dazu führen, dass weniger Menschen die Bahn nutzen werden. Und das ist sehr, sehr schade für den grenzüberschreitenden Verkehr", sagt Seidler.

Doch im Moment habe man keine bessere Lösung, erklärt Verkehrsminister Madsen: "Wir müssen sogar darauf hoffen und setzen, dass die Dänen auch damit einverstanden sind, dass wir die Tingleff-Lösung machen." Nach seinen Angaben müsste Dänemark einen Teil der Kosten übernehmen, wenn deutsche Züge durchs Königreich rollen. "So, wie ich es verstanden habe, sieht es auch ganz gut aus", sagt Madsen.

Politische Verhandlungen zwischen Kiel und Kopenhagen

Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein laufen derzeit auf politischer Ebene noch Gespräche darüber, wie es künftig auf den Schienen im Grenzland weitergeht. Die deutsche Seite überlegt, den RE7 sogar bis nach Kolding fahren zu lassen. Diese Stadt liegt gut 80 Kilometer nördlich der Grenze.

Und auch die Dänen haben Ideen und Erwartungen an die deutsche Seite: Die DSB will künftig weiterhin im internationalen Fernverkehr direkte Verbindungen nach Deutschland anbieten. Diese Züge halten derzeit jedoch nicht im Grenzland. "Falls diese Züge auf dem Weg nach Hamburg einen Stopp in Flensburg machen sollten, würde das von einer Einigung mit NAH.SH und der Deutschen Bahn abhängen", teilen das Verkehrsministerium in Kopenhagen und die DSB knapp auf Nachfrage mit.

Zeitplan ist offen

In der politischen Sommerpause ist kaum mit weiteren Gesprächen oder Entscheidungen zu rechnen. So wird frühestens in einigen Wochen feststehen, ob die neuen Regionalzüge aus Schleswig-Holstein künftig bis nach Dänemark rollen werden - und wer wieviel dafür bezahlen wird.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 25.07.2023 | 08:30 Uhr

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