Virologin Brinkmann: "Mit diesem Kurs haben wir keine Chance"
Ministerpräsident Stephan Weil möchte am Mittwoch bei der Bund-Länder-Konferenz den Entwurf eine Stufenplans besprechen. Darin sind auch Lockerungen vorgesehen. Die Virologin Melanie Brinkmann warnt.
Brinkmann bezeichnete Lockerungen ab einem Inzidenzwert von knapp weniger als 50 in einem Interview im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" als "fatal". Die Wissenschaftlerin des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig warb in dem Gespräch hingegen erneut für eine "No Covid"-Strategie, die sie und weitere renommierte Forscher verschiedener Fachbereiche vorgeschlagen hatten. Das Ziel müsse sein, die 7-Tages-Inzidenz mit einer "konsequent durchgesetzten Kontaktvermeidungsstrategie" zügig unter den Wert 10 zu drücken. "Dieses Larifari des 'Hier ein bisschen Homeoffice, dort ein improvisiertes Hygienekonzept', das muss aufhören.", sagte Brinkmann.
Bei frühen Lockerungen drohe Lockdown-Dauerschleife
Die 47 Jahre alte Virologin aus Neustadt am Rübenberge (Region Hannover), die zum wissenschaftlichen Beraterstab von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten gehört, übte Kritik an den Plänen der Bundesregierung. "Wir alle wollen aus diesem verdammten Lockdown raus. Aber die Kanzlerin hat am Dienstag leider verkündet, dass die 50er-Inzidenz weiterhin als Richtschnur dienen soll. Mit diesem Kurs haben wir keine Chance", so Brinkmann. Dieser Kurs habe ihrer Meinung nach zur Folge, dass das Land in einer Art Dauer-Lockdown verharre, weil die Zahlen nach jedem kleineren Erfolg unweigerlich wieder steigen würden.
Keine Entwarnung durch Impfungen
Auch der inzwischen vollzogene Impfstart gebe keinen Anlass zur Beruhigung. "Wir kriegen niemals genügend Menschen geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen", prognostizierte Brinkmann, die nach eigenen Angaben Drohungen erhalten habe. "Der Wettlauf ist längst verloren. Alles andere entspringt Wunschdenken, genährt von falschen Versprechungen einiger Politiker." Die Virologin befürchtet, dass gegen Ostern, sobald ein Großteil der ersten Risikogruppe geimpft sei, die Rufe nach Lockerungen zu laut werden würden. "Dann würde das Virus durch die jüngeren, bis dahin noch nicht geimpften Altersgruppen rauschen, die keine Immunität haben - und das mit einer Wucht, die man sich gar nicht vorstellen kann." Das mutierte Virus laufe sich im Hintergrund gerade warm.
Brinkmann vermisst konsequentes Pandemie-Management
Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, benötigte man nicht einmal härtere Maßnahmen. Man müsse "die bestehenden konsequenter anzuwenden. Wir müssen auch besser kontrollieren, dass sich alle daran halten. Quarantäne ist Quarantäne - da kann ich nicht draußen herumspringen". Was exponentiell steige könne auch exponentiell sinken. "Das ist, als würde man sich ein Pflaster quälend langsam abziehen - oder einmal schnell, zack!, und weg ist es", so Brinkmann. Ein Modell eines Helmholtz-Kollegen habe gezeigt, dass das Land in sechs Wochen durch sein könnte, wenn es konsequent im Lockdown bliebe und Kontakte vermieden würden. "Wenn wir allerdings noch vier Wochen warten, geht es hier demnächst zu wie in London, dann gibt es eine Tausender-Inzidenz, und alle sind ganz erschrocken."
