Polizist schlägt Betrunkenen: Göttinger Gericht spricht ihn frei
Weil er im Einsatz einen Betrunkenen geschlagen hat, musste sich ein Polizist aus Göttingen vor Gericht verantworten. Im Berufungsprozess hat das Landgericht den Beamten jetzt freigesprochen.
Nach Ansicht des Gerichts waren die Schläge des Polizisten kein Fehlverhalten, sondern ein Mittel der Polizeiarbeit - und somit verhältnismäßig. Der aggressive, betrunkene Mann, der im Prozess als Nebenkläger auftrat, war demnach nicht zu beruhigen. Er habe heftigen Widerstand geleistet und dabei seien Schläge durch Polizisten eine Art Schockmittel, um die Sicherheit wiederherzustellen, hieß es in der Urteilsverkündung am Mittwoch. Im Berufungsverfahren wurde unter anderem ein Polizeiausbilder aus Hessen als Experte angehört. Er sagte aus, der angeklagte Polizist und seine Kollegen hätten korrekt gehandelt - das Vorgehen der Beamten sei nicht zu beanstanden gewesen.
Polizist wurde angefeindet
Der freigesprochene Polizist erklärte in seinem Schlusswort, wie schwer die zurückliegenden Jahre für ihn und seine Familie gewesen seien, dass sie angefeindet wurden und aus Göttingen wegziehen mussten. Er sagte auch, dass er nicht mehr im Streifendienst arbeite und sich frage, wer das überhaupt noch tun wolle. Seine Anwältin Anthea Pitschel sagte dem NDR Niedersachsen, es sei sehr wichtig für ihren Mandanten, dass seine Bewertung der Situation nun auch vom Gericht getragen wird. Der Vorfall sowie der Prozess hätten den angeklagten Polizisten sehr belastet. "Es war sehr schwierig für ihn", so Pitschel. Die Vorsitzende Richterin habe in ihrer Urteilsverkündung zudem von einer Vorverurteilung des Angeklagten gesprochen - ohne, dass ein Urteil gefallen war.
Polizeieinsatz gegen Betrunkenen: Todesangst im Handgemenge?
In einem ersten Urteil hatte das Amtsgericht Göttingen 2023 festgestellt, dass der angeklagte Polizist im Juli 2021 gemeinsam mit drei Kollegen versucht hatte, einen aggressiven Betrunkenen in der Göttinger Innenstadt zu fixieren. Das ging unter anderem aus Bodycam-Aufnahmen hervor. Nach Aussage des Polizisten habe er bei dem Mann zunächst einen sogenannten Kopfkontrollgriff angesetzt, dabei stürzten er und der Betrunkene zu Boden. Demnach schlug zunächst der Betrunkene dem Polizisten ins Gesicht und umklammerte ihn, so dass ihm die Luft weg blieb. Er habe Todesangst gehabt, sagte der Polizist vor dem Amtsgericht aus.
Rechtswidrige Schläge oder korrektes Vorgehen des Polizisten?
Die vier Polizisten brachten den sich heftig wehrenden Betrunkenen schließlich in Bauchlage, dabei schlug der angeklagte Polizist dem Mann mehrfach ins Gesicht. Zwei dieser Schläge seien rechtswidrig gewesen, weil keine Notwehrsituation mehr bestanden habe, hatte das Amtsgericht geurteilt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Polizist die Grenzen der Notwehr "aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken" überschritten habe, wie es in Paragraf 33 des Strafgesetzbuches (StGB) heißt. Deshalb wurde der Polizist vom Amtsgericht Göttingen in erster Instanz vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage gingen daraufhin in Berufung.
Strafrechtler: Freispruch sendet "beunruhigende Botschaft"
Der Strafrechtler Gunnar Duttge von der Georg-August-Universität Göttingen blickte mit Bedenken auf die Begründung des Amtsgerichts zum ersten Urteil in dem Fall. "Zu sagen, das ist zwar rechtswidrig gewesen, aber Polizisten können sich bei Bedarf jederzeit auf Todesgefahr berufen und kommen dann mit einem Freispruch davon, ist etwas, was für die allgemeine Bevölkerung eine sehr beunruhigende Botschaft sein dürfte", sagte Duttge dem NDR Niedersachsen. "Denn bei Polizeibeamten erwartet man eigentlich nicht, dass sie so ohne Weiteres in Todesgefahr geraten."
Staatsanwaltschaft hatte Verwarnung gefordert
Das jetzige Urteil des Göttinger Landgerichts blieb unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die hatte den Zugriff als rechtswidrig bewertet und in der ersten Instanz eine Verwarnung mit Strafvorbehalt für den Angeklagten und die Zahlung von 2.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation gefordert. Die Nebenklage hatte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung gefordert - das hätte für den Angeklagten eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge gehabt.
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