Dr. Helge Gößling (Goessling), Klimaphysiker und Gruppenleiter am Alfred-Wegener-Institut lächelt in die Kamera. © Alfred-Wegener-Institut

Forscher: "Der Fingerabdruck des Klimawandels ist glasklar"

Stand: 08.02.2024 20:12 Uhr

Der Januar 2024 war der wärmste Januar seit Beginn der Aufzeichnungen des Copernicus Climate Change Services (C3S) der EU. Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erstmals über einen Zeitraum von zwölf Monaten dauerhaft über 1,5 Grad Celsius lag.

Über diese Entwicklungen hat NDR Redakteur Carsten Thiele mit dem Klimaforscher Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gesprochen.

Herr Gößling, zwölf Monate lang immer über 1,5 Grad wärmer - wie sehr schockt Sie diese Nachricht als Klimaforscher?

Dr. Helge Gößling: Also, schockiert ist man als Klimaforscher nicht. Es war im Grunde ja auch absehbar. Gerade das letzte Jahr hat schon an der 1,5-Grad-Grenze gekratzt, dazu jetzt der Januar mit einem Rekordwert und im Pazifik immer noch der starke El Niño. Dennoch macht diese Entwicklung klar, dass der Klimawandel tatsächlich so kommt, wie es erwartet worden ist und dass es nicht etwa jetzt glimpflicher passiert, als wir das gedacht haben. Und natürlich gibt das schon Grund zur Sorge darüber, wie das in den nächsten Jahrzehnten weitergeht.

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Ein Jahr lang lag die Erderwärmung über 1,5 Grad. Das ist ja die Marke, die beim Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 als Höchstmarke gesetzt wurde, unter der die Welt bleiben soll. Heißt das also, dass dieses Ziel verfehlt ist?

Gößling: Nein, technisch noch nicht. Im Grunde muss man im Fünf-Jahre-Mittel über dieser Marke liegen. Das liegt daran, dass wir von Jahr zu Jahr gewisse Zufallsschwankungen drin haben. Aktuell sind diese Schwankungen derart, dass wir ein bisschen drüber sind. Das heißt, nächstes oder wahrscheinlich eher übernächstes Jahr oder in drei Jahren werden wir möglicherweise da wieder ein bisschen drunter liegen. Aber in circa zehn Jahren, da rechnen wir damit, dass wir im Grunde diese Marke erreichen werden.

Geht es jetzt nur noch aufwärts, was die Temperaturen angeht?

Gößling: Kurzfristig ist die Antwort "Nein", mittelfristig aber "Ja". Da wir für die nächsten Jahre im Grunde schon wissen, wie viele Emissionen wir da unvermeidlich haben, ist klar, dass es mittelfristig erstmal weiter raufgeht. Ganz offen ist, wie es langfristig weitergeht. Das hängt davon ab, was wir jetzt für Hebel umlegen, um Emissionen zu verändern.

Woran erkennen Sie hier vor Ort bei uns im Norden, wie sehr sich das Klima verändert hat?

Gößling: Es gibt im Grunde eine Vielzahl von Vorboten, zum Beispiel besonders starke Regen-Ereignisse. Wir hatten das im Ahrtal, wir hatten das zum Jahreswechsel in Norddeutschland mit den Überschwemmungen. Wenn wir Attributionsstudien machen, dann sieht man, dass die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse tatsächlich auch durch den Klimawandel schon erhöht worden ist. Wir haben auch steigende Pegel an den Küsten. Aber hier aus norddeutscher Perspektive oder generell aus europäischer Perspektive, denke ich, das klarste Zeichen sind diese sommerlichen Hitzewellen. Bei denen ist der Fingerabdruck des Klimawandels wirklich glasklar.

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Welches ist Ihrer Ansicht nach der effektivste Ansatz, um möglichst schnell diesen Anstieg der Temperaturen zu stoppen?

Gößling: Das Ein und Alles sind im Grunde die CO2-Emission. Wie viel fossile Brennstoffe werden wir weiter verbrennen? Vielleicht auf Platz zwei kann man tatsächlich auch den ziemlich verschwenderischen Umgang mit den Landoberflächen nennen, den wir an den Tag legen. Kleines Beispiel: In meinem Landkreis in Osterholz-Scharmbeck, da sind die Emissionen aus dem Teufelsmoor im Grunde genauso hoch, wie die Emission, die die Menschen durch ihre sonstige normale Tätigkeit haben, eben durch Verbrennung fossiler Brennstoffe.

Das heißt, wenn wir mit der Landoberfläche nicht so verschwenderisch umgehen und die wieder zum großen Teil renaturieren, ist das ein zweiter Faktor, mit dem wir da wesentlich gegenarbeiten können. Und da ist natürlich auch die Menge an tierischen Lebensmitteln, die wir herstellen. Weil wir dafür so irre große Flächen brauchen.

Manche Leute denken: Wenn die großen Mega-Industrienationen nix machen, dann bringt es nichts, wenn wir hier in Deutschland was tun. Ist diese globale Aufgabe aber nicht eigentlich erstmal eine nationale Aufgabe?

Gößling: Ja, das ist natürlich kein entweder oder. Es ist eher ein sowohl als auch. Erstmal muss man sich an die eigene Nase fassen. Gleichzeitig muss man aber natürlich andere mit ins Boot holen. Wenn alle nur darauf warten, dass andere vorangehen, dann passiert überhaupt nichts. Jetzt wird oft gesagt: Ja, Deutschland hat nur zwei Prozent der Emissionen. Ja, aber Deutschland hat auch nur ein Prozent der Weltbevölkerung. Und außerdem haben wir historisch gesehen sogar einen Anteil von fünf Prozent an den Emissionen. Das heißt, wir haben da schon eine besondere Verantwortung. Und außerdem haben wir auch die technologischen und finanziellen Möglichkeiten dazu.

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