Schweden: Wieder Gasaustritt aus kleinem Leck an Nord Stream 2
Der Gasaustritt aus den beschädigten Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee vor Bornholm ist offenbar doch noch nicht versiegt. Bei einem Überflug am Montag war laut schwedischer Küstenwache aus dem Leck von Nord Stream 2 austretendes Gas zu sehen. Schweden schickte ein U-Boot-Rettungsschiff in das Seegebiet.
Die Blasen an der Wasseroberfläche haben demnach einen Durchmesser von rund 30 Metern. Die Austrittsfläche habe sich sogar vergrößert. Am Wochenende habe der Durchmesser lediglich 15 Meter betragen. Am Sonnabend hatte die Betreiberfirma noch erklärt, dass aus Nord Stream 2 gar kein Gas mehr austrete, weil der Druck in der Leitung auf das gleiche Niveau wie der Wasserdruck gefallen sei. Dagegen bestätigte die schwedische Behörde, dass aus der Erdgaspipeline Nord Stream 1 kein Gas mehr ausströmt, wie von mehreren Stellen schon am Wochenende mitgeteilt worden war. Die schwedische Marine sandte am Montag das U-Boot-Rettungsschiff "HMS Belos" in das Seegebiet. Es solle die Küstenwache unterstützen, hieß es. Wann die Lecks untersucht werden können, sei noch unklar.
Gazprom: Kein Gasaustritt mehr - Versorgung über unbeschädigten Pipeline-Strang möglich
Betreiber-Mutterkonzern Gazprom teilte in einem Statement auf Twitter am Montagmittag mit, dass sich der Druck in dem beschädigten Strang von Nord Stream 2 und beiden Strängen von Nord Stream 1 wieder normalisiert habe und kein Gas mehr austrete. Sicherheitshalber werde dennoch Gas aus der intakten Röhre von Nord Stream 2 abgepumpt, um bessere Voraussetzung für die Überprüfung der Pipeline zu schaffen. Gleichzeitig brachte der Konzern erneute Gaslieferungen nach Deutschland über diesen unbeschädigten Strang von Nord Stream 2 ins Spiel. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur lehnte das gegenüber NDR 1 Radio MV mit der Begründung ab, dass Nord Stream 2 nicht zertifiziert und für den Betrieb freigegeben sei.
Vier Lecks nach Unterwasser-Explosionen
An den von Russland nach Deutschland führenden Pipelines Nord Stream 1 und 2 waren in der vergangenen Woche vier Lecks in den Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens entdeckt worden. Die Leitungen sind zwar nicht in Betrieb, waren aber aus technischen Gründen mit Gas gefüllt. Laut einem dänisch-schwedischen Bericht für den UN-Sicherheitsrat wurden die Lecks von Unterwasser-Explosionen mit einer Sprengkraft wie "hunderte Kilogramm" Sprengstoff verursacht. Nach Gazprom-Angaben sind insgesamt bereits 800 Millionen Kubikmeter Erdgas ausgeströmt. Experten hatten damit gerechnet, dass der Gasaustritt an diesem Wochenende zu Ende gehen könnte. Dies gilt als Voraussetzung dafür, um die Lecks näher untersuchen zu können und die Ursache für die Schäden zu finden.
Buschmann: Generalbundesanwalt könnte wegen Sabotage ermitteln
Unterdessen sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in einem Interview mit der "Bild am Sonntag", es sei möglich, dass vor Bornholm auf dem Grund der Ostsee eine Straftat verübt worden ist: eine verfassungsfeindliche Sabotage mit Auswirkungen auf Deutschland. Zwar befänden sich die Lecks in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Dänemark und Schweden. Da die Pipeline aber in Deutschland anlandet, könne hier der Straftatbestand des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion infrage kommen, so Buschmann. Ziel wäre es, die Täter zu ermitteln und sie durch Generalbundesanwalt Peter Frank in Deutschland vor Gericht zu stellen, so Buschmann.
Laut Gazprom ist aus den vier Lecks insgesamt so viel Gas ausgetreten, wie in drei Monaten nach Dänemark geliefert wird. Weil beim Bau der Pipelines nicht von solch einem Schadensfall ausgegangen wurde, gebe es auch keine Sperrventile, mit denen man den Gasfluss stoppen könnte, hieß es. Gazprom prüft die Möglichkeit einer Reparatur. Die Aufgabe sei aus technischer Sicht jedoch "sehr überwältigend," sagte ein Konzernsprecher am Freitagabend per Videoschalte vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Das UN-Gremium hatte sich auf Betreiben Russlands mit dem mutmaßlichen Angriff auf die Erdgasleitungen befasst. Das Umweltgremium der Vereinten Nationen bezeichnete die Methan-Emissionen als Umweltkatastrophe. Methan gilt als klimaschädliches Treibhausgas, es ist Hauptbestandteil des Erdgases.
Umweltamt: Ein Prozent der deutschen Jahres-Gesamt-Emissionen
Das Umweltbundesamt (UBA) hatte sich bereits am Mittwoch besorgt über die Klimafolgen wegen des Methan-Austritts gezeigt. Die Behörde geht von etwa 7,5 Millionen Tonnen an sogenannten CO2-Äquivalenten aus. Das entspreche etwa einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamt-Emissionen. Zur besseren Vergleichbarkeit werden Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet. Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid. Das UBA geht davon aus, dass durch die Lecks 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen werden. Die Umweltorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) kam zu ähnlichen Ergebnissen, sie sprach von einem "unermesslichen Schaden" für den Klimaschutz.
Spekulationen über Urheber der Lecks gehen weiter
Die Lecks waren vor knapp einer Woche entdeckt worden. Mittlerweile gibt es kaum noch Zweifel daran, dass sie absichtlich durch Explosionen herbeigeführt wurden. Der Urheber der Explosionen ist noch unklar. Einem dänisch-schwedischen Bericht für den UN-Sicherheitsrat zufolge wurden die Lecks von Unterwasser-Explosionen mit einer Sprengkraft wie "hunderte Kilo" Sprengstoff verursacht. Russland hatte die Sitzung des UN-Sicherheitsrates erbeten und indirekt die USA für die Lecks verantwortlich gemacht. Die Amerikaner haben solche Vorwürfe bereits mehrfach zurückgewiesen. Russlands Machthaber Wladimir Putin hatte die USA und deren westliche Verbündete explizit als Urheber der Lecks bezeichnet. Mehrere westliche Experten sagen dagegen, dass Russland Motive für einen solchen Anschlag hätte - etwa um weitere Verunsicherung im Westen auszulösen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hält Spekulationen über die Lecks für verfrüht, solange der Vorfall nicht gründlich untersucht worden sei.
Faeser: Gemeinsame Untersuchungsgruppe, verstärkte Patrouillen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte Dänemark und Schweden derweil Unterstützung bei den Untersuchungen zu den Lecks zu. Die beschädigten Pipeline-Stellen befinden sich in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen der beiden skandinavischen Länder. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Sonnabend eine gemeinsame Ermittlergruppe Deutschlands, Dänemarks und Schwedens an. Es gehe darum, die Hintergründe aufzuklären. Dies erfordere die Expertise von Marine, Polizei und Nachrichtendiensten. Faeser sprach zudem über gemeinsame Kontrollen auf dem Meer mit Polen, Dänemark und Schweden. Dabei sollen alle verfügbaren Kräfte und Schiffe der Bundespolizei eingesetzt werden.
"Die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines ist eine Bedrohung für die EU"
Scholz sagte, Deutschland werde mit seinen Partnern in Nato und EU zudem "die Vorsorge und den Schutz vor Sabotage für kritische Infrastruktur verstärken". Infrastrukturminister Volker Wissing (FDP) will eine moderne, zukunftsfähige Infrastruktur sogar im Grundgesetz verankern lassen. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen in der nächsten Woche über die Sicherheit der Infrastruktur beraten. "Die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines ist eine Bedrohung für die EU. Wir sind entschlossen, unsere kritische Infrastruktur zu sichern", teilte EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonnabend mit.
Lubmin: Gascade rüstet Anlagen am Anlandepunkt um
In Lubmin bei Greifswald, am Anlandepunkt der Leitungen auf dem deutschen Festland, will sich der Gasnetzbetreiber Gascade nun breiter aufstellen und seine Systeme umbauen, um als Knotenpunkt flexible Pipeline-Verbindungen zu ermöglichen. Bisher war die Anlage so konstruiert, nur das Gas aus Nord Stream 1 und 2 in das Binnenland weiterzuleiten.